Warme Worte statt heißer Luft
Drei Tugenden der Führungskommunikations-Stilikone
Die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern hat bereits mit einer Reihe von politischen Premieren und Tabubrüchen Aufsehen erregt. Genauso viel Aufmerksamkeit wie für ihre politischen Erfolge verdient sie allerdings für etwas anderes: Sie steht für einen neuen Stil der Politkommunikation. Rhetoriktrainer René Borbonus analysiert, warum sie so vielen Menschen aus der Seele spricht – und wie.
Jacinda Ardern ist eine der meistbeachteten Politikerinnen der Gegenwart. Mit der Geburt ihrer Tochter während ihrer Amtszeit hat sie genauso Geschichte geschrieben wie als jüngste amtierende Regierungschefin (bis zur Wahl von Sanna Marin in Finnland) und mit ihrem beispiellos diversen zweiten Kabinett. Ihre Zustimmungs- und Beliebtheitswerte sind aber noch aus einem anderen Grund stabil hervorragend: Jacinda Ardern redet anders. Anders als andere Politikschaffende, und anders als die meisten Führenden.
Als ihre Wahl zur neuseeländischen Premierministerin 2017 international Schlagzeilen machte, war neben all der Begeisterung noch viel Skepsis zu spüren: Würde eine so junge Politikerin, die neben innenpolitischen Herausforderungen wie der sozialen Spaltung und dem anti-islamischen Terroranschlag von Christchurch auch noch die Corona-Krise zu bewältigen hatte, den Vertrauensvorschuss einlösen können? Würde es ihr gelingen, Beliebtheit in verdiente Anerkennung zu verwandeln?
Sie bewältigte die multiple Herausforderung so gut, dass sie 2020 für weitere drei Jahre im Amt bestätigt wurde, und zwar mit großem Vorsprung und absoluter Mehrheit für ihre Partei. Dabei wird ihre weithin als souverän eingestufte Amtsführung fraglos die Hauptrolle gespielt haben; die Sozialdemokratin hat viele der mutigen und progressiven Entscheidungen zu Klimaschutz, Finanzpolitik und Diversität getroffen und umgesetzt, die von ihr erwartet wurden. Einen Großteil der Faszination macht jedoch ihre Kommunikation aus, die immer wieder eine Klammer um das setzt, wofür sie steht. Vor allem drei Merkmale machen Jacinda Ardern auch rhetorisch zur Stilikone: Augenhöhe, Verbundenheit und Konstanz.
- Führungskommunikation auf Augenhöhe
Wie sorgt man dafür, dass Menschen sich einem neuen Weg öffnen? Wie schwört man fünf Millionen Bürgerinnen und Bürger auf eine politische Agenda ein? Wie bewegt man sie dazu, auch bei anspruchsvollen Maßnahmen zu kooperieren, dranzubleiben und sogar persönlichen Verzicht zum Wohle anderer zu üben, wenn es nötig ist?
Das sind Fragen, die sich Jacinda Ardern schon bei der Amtsübergabe durch ihren konservativen Vorgänger Bill English gestellt haben dürfte. Ihre Antwort gab sie bei vielen Gelegenheiten dadurch, dass sie statt eines autoritativen von Anfang an einen dialogischen Stil pflegte – sowohl in ihrer Amtsführung als auch in ihrer Kommunikation. Mit ihrem Führungsdenken wirkt sie wie die politische Verkörperung des Zeitalters der flachen Hierarchien. Eines ihrer populärsten Zitate aus einem Interview mit Newshub untermauert diesen Eindruck explizit:
„Für mich geht es in der Führung nicht darum, wer im Raum am lautesten ist, sondern darum, die Brücke zu sein, oder das fehlende Bindeglied in der Diskussion, und von da aus einen Konsens aufzubauen.“
Auch ihr Politikverständnis beruft sich statt hochtrabenden Visionen auf ihre Verantwortung gegenüber der Bevölkerung, deren Auftrag ihr Handeln legitimiert:
„Wir müssen darauf schauen, dass die Menschen in der Lage sind, ein sinnhaftes und angenehmes Leben zu führen, bei dem sie von ihrer Arbeit leben und ihre Familien unterstützen können.“
Während in Porträts und Interviews immer wieder versucht wird, ihre Besonderheiten und Unterschiede zu betonen, setzt sie rhetorisch bei jeder Gelegenheit auf Gemeinsamkeiten und Errungenschaften, die sie mit anderen teilt:
„Ich bin nicht die erste Frau, die Multitasking betreibt. Ich bin nicht die erste Frau, die arbeitet und ein Baby hat – es gibt viele Frauen, die das vor mir geschafft haben.“
Mit ihrem Stil der Augenhöhe wirkt Jacinda Ardern stets verbindend, wo andere bewusst trennen. Damit setzt sie ein erfrischendes Zeichen in Führungsfragen: In den wirklich wichtigen Fragen geht es nicht ums Gewinnen und nicht um politische Einzelinteressen, sondern um das Gemeinwohl – und die Menschen honorieren es, wenn Führung das in den Fokus nimmt.
- Verbundenheit im richtigen Moment
Auch politisch hat Jacinda Arderns Kommunikation eine verbindende Qualität. Das ist, bei genauerer Betrachtung, eine Qualität, die sie mit einigen der historisch bedeutsamsten Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte gemeinsam hat.
Politik ist ein Handwerk der Gesten, und Gesten der Menschlichkeit gehen verlässlich ins kulturelle Gedächtnis einer Generation ein. Erinnern wir uns nur an Willy Brandts Kniefall in Warschau als non-verbale Geste der Versöhnung. Denken wir an John F. Kennedys rhetorische Verbrüderung mit den Berlinern auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses. Oder nehmen wir Jacinda Arderns Auftritt nach dem Attentat von Christchurch als Beispiel: Ein fanatischer, weißer Rassist hatte bei Angriffen auf zwei Moscheen am 15. März 2019 51 Muslime erschossen und Dutzende weitere verletzt. Die Premierministerin trug Kopftuch, also sie vor Ort Angehörige der Opfer umarmte. Wir erinnern uns an Politiker, die eine Verbindung herzustellen vermögen.
Besonders wirkungsvoll wirkt eine solche Geste natürlich in den Momenten, in denen die Bürgerinnen und Bürger sie am nötigsten haben. Mit ihrer empathischen Führungshaltung beweist Jacinda Ardern immer wieder Gespür für verbindende Formulierungen zum richtigen Zeitpunkt. Als es in der Corona-Krise darauf ankam, die Bevölkerung angesichts harter Lockdown-Maßnahmen bei der Stange zu halten, mussten viele Regierende rund um die Welt große Einbußen bei ihren Zustimmungswerten hinnehmen. Jacinda Ardern bekam für ihre Maßnahmen eine 92-prozentige Zustimmung von der Gesamtbevölkerung. Ihre Art, Zusammenhalt zu demonstrieren, dürfte dabei eine große Rolle gespielt haben. Anlässlich einer Pressekonferenz im Mai 2020 sagte sie:
„Wir haben ein Team gebildet. Und als ein Team haben wir eine Schutzmauer füreinander errichtet. […] Ihr habt etwas für jemandes Mutter, jemandes Vater, jemandes Kind getan. Dafür sind euch viele Menschen dankbar, liebes Team von fünf Millionen.“
Bei ihrem bereits erwähnten Besuch einer Moschee nach dem Attentat von Christchurch sagte die Premierministerin über die muslimischen Opfer:
„Sie gehören zu uns. Die Person, die diese Gewalt gegen uns verübt hat, nicht.“
Ihr Mut, politischen Risiken zum Trotz unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, hat bei Bevölkerungsteilen großen Anklang gefunden, die sonst oft durchs Raster der Wahrnehmung fallen:
„Der Kapitalismus hat an unserem Volk versagt. Wenn hunderttausende Kinder unzureichend versorgt in Heimen leben, dann ist das ein himmelschreiendes Versagen. Wie soll man das sonst nennen?“
Die Fähigkeit, die Perspektive anderer anzunehmen und ins Zentrum ihres Redens und Handelns zu stellen, ist in jeder Art von Kommunikation vorteilhaft; in der großen Politik ist sie bisher außerdem relativ selten. Ardern hat aus dieser Stärke ganz bewusst ein Alleinstellungsmerkmal gemacht, das sie auch rhetorisch pflegt:
„Ich bin stolz darauf, eine empathische und mitfühlende Führende zu sein.“
- Konstanz im Dialog
Einen bemerkenswerten Unterschied zum Kommunikationsstil manch anderer Politikerinnen und Politiker sowie Führender bildet auch Jacinda Arderns ungeheurer rhetorischer Fleiß. Sie verhält sich ihrer Bevölkerung gegenüber wie eine Freundin, die nie müde wird, anzurufen.
Als nach der Geburt ihrer Tochter Sorgen – und Zynismen – laut wurden, die „Teilzeit-Premierministerin“ könnte mit ihrer Doppelrolle als Mutter und Regierungschefin überfordert sein, zog Ardern sich nicht etwa ins Private zurück. Ganz im Gegenteil: Sie holte die Bürgerinnen und Bürger zu sich nach Hause und ließ sie teilhaben. Statt sich vertreten zu lassen, installierte sie eine Routine wöchentlicher Video-Updates, oft von zu Hause aus. Mit jedem dieser Updates wurde sie Kommentatoren zufolge besser und besser darin, einen Draht zu den Menschen zu etablieren und dringende Belange argumentativ voranzutreiben.
Als Corona die Welt in die Wohnzimmer zwang, griff sie erneut auf diese Strategie der demonstrativen Nähe zurück. Einmal mehr zeigte sie sich als eine von vielen, nämlich im Homeoffice, und wendete sich in regelmäßigen Videostreams an die Bevölkerung. Sie führte Frage- und Antwortrunden mit Expertinnen und Experten durch, in denen sie persönlich Falschinformationen zu Leibe rückte und auf Facebook-Kommentare einging – immer präsent, immer am Ball. „Danke, dass ihr zu mir gekommen seid“, beendete sie so einen Live-Streams schon mal, während andere Regierungschefinnen und -chefs an entscheidenden Weggabelungen der Pandemie mit Zögerlichkeit oder Unsichtbarkeit glänzten. Einige dieser Videos wurden mehr als fünf Millionen Male aufgerufen.
Jacinda Arderns konstante Kommunikationsbereitschaft verleiht ihr eine Aura der Nahbarkeit, der Glaubwürdigkeit und des Verantwortungsbewusstseins. Während viele Führende in kritischen Situationen bewusst auf Distanz gehen, geht sie aktiv auf Menschen zu statt auf Nummer Sicher. Genau das wünschen wir uns, wenn wir Orientierung brauchen: eine Führung, die das Gespräch sucht und im Gespräch bleibt.
Menschen erreichen: 3 Impulse relevanter Kommunikation nach Jacinda Ardern
Jacinda Ardern lebt vor, wie Menschen in verantwortungsvollen Positionen heute relevant kommunizieren können, ohne dabei der Versuchung populistischer Klartexterei auf den Leim gehen zu müssen. Die folgenden drei rhetorischen Tugenden der Jacinda Ardern sind deshalb ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen:
- Führen auf Augenhöhe: Man muss nicht immer auf Trennung, Distanz und Hierarchie setzen, um erfolgreich zu sein, sich durchzusetzen oder etwas zu erreichen. Stabile Mehrheiten baut man auf Gemeinsamkeiten.
- Verbundenheit demonstrieren: Die Zustimmung und Kooperation von Menschen erzielt man, indem man rhetorische Brücken in ihre Lebenswelten schlägt – nicht, indem man verallgemeinernde Forderungen stellt.
- Konstant im Gespräch bleiben: Wer permanent den Austausch sucht und auch in schwierigen Phasen im Dialog bleibt, statt auf Distanz zu gehen, wirkt glaubwürdiger (und baut nebenbei Vertrauenslücken und Gerüchten vor).