Rhetorische Zeitlupe: Ein Gigant auf Augenhöhe

Ein Gigant auf Augenhöhe

Dirk Nowitzki ist einer der größten seines Sports, einer der größten Deutschen, eines unserer größten Vorbilder – einer der Größten, Punkt. Das allein ist für einen Redner schon Bürde genug; insbesondere, wenn er wie Dirk Nowitzki gerade nicht dazu neigt, sein Ego vor sich herzutragen. Das wird nicht eben einfacher, wenn der Redeanlass auch noch darin besteht, die Person des Redners selbst zu feiern.

Vor genau dieser Herausforderung stand Dirk Nowitzki bei seiner Rede zur Aufnahme in die Hall of Fame der NBA, der nationalen Basketball-Liga der USA; der größten Ehrung, die einem Sportler in dieser Disziplin zuteilwerden kann. Ich war hinter den Kulissen und im Saal dabei, als Dirk Nowitzki sich dieser Herausforderung stellte. In dieser rhetorischen Zeitlupe möchte ich einige meiner persönlichen Highlights seiner bewegenden Rede Revue passieren lassen.

Was alle Redenden von Dirk Nowitzki lernen können, läuft für mich vor allem auf eine Kernqualität dieser Rede und des Giganten „Dirkules“ als Person hinaus: Menschen, die auf einem Podest stehen – in der breiten Öffentlichkeit, in ihrem Fachgebiet, in ihrem Unternehmen – tun gut daran, auf Lebensgröße zu schrumpfen und auf Augenhöhe zu gehen, wenn sie vor anderen sprechen. Die Frage ist: Wie funktioniert das, ohne in Anbiederung oder Koketterie auszuarten?

Viele Redner würden der Versuchung auf den Leim gehen, eine Laudatio auf sich selbst zu halten und ihr Leben und ihre Karriere im Rückblick zu verklären. Doch nichts könnte unsympathischer sein: Perfektion trennt. Die brachiale soziale Hierarchie zwischen Bühne und Zuschauerrängen würde noch verstärkt, die Perspektive der Zuhörer auf den Redner noch mehr verzerrt. Eine ungünstigere Voraussetzung kann es kaum geben, um Menschen zu erreichen. Ganz besonders dann, wenn sie sowieso schon zu dem Menschen aufschauen, der da zu ihnen spricht.

Der Grat von der persönlichen Ansprache zur Selbstbeweihräucherung: Er ist haarscharf bei so einer Rede. Diese Gratwanderung zu meistern, gelingt den wenigsten wirklich gut.

Dirk Nowitzki allerdings ist das ideale Beispiel für einen Redner, der diese Gefahr mit seiner Persönlichkeit zu kontern vermag. Immer wieder wird der frisch pensionierte Superstar der Dallas Mavericks für seine Bescheidenheit und Erdung gefeiert. Diese Qualität zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Rede. Sie lässt ihn gerade im oft exzentrischen Umfeld der berühmtesten Sportler der Welt auf angenehme Weise herausstechen.

Gleich mit den ersten Sätzen stellte Dirk Nowitzki klar, dass Selbstbeweihräucherung an diesem Abend nicht zu den Programmpunkten gehören würde:

All das wurde möglich, weil ich einige Qualitäten und Werte gelernt habe, die mir von einigen ganz besonderen Menschen gelehrt wurden. Ich hatte exzellente Lehrer. Heute möchte ich von meiner Reise zu diesen Qualitäten berichten.

Und genau das tat Nowitzki: Er nahm seine Zuhörer mit auf eine Exkursion durch seine Karriere entlang einer Reihe von Werten wie Kreativität, Leadership, Respekt, Loyalität, Teamgeist und weiteren. Den Fokus legte er bei seinem hochpersönlichen Storytelling jedoch nicht auf die Meilensteine seines Werdegangs. Die schwangen in seinem Narrativ eher als logische Folge all der Begegnungen mit prägenden Wegbegleitern mit. So dankte er seinem Coach Holger Geschwinder aus der deutschen Heimat mit folgenden Worten:

Du hast mich im Handstand durch den Fitnessraum laufen lassen. Du hast mich Saxofon spielen lassen. Du hast mich im Handstand Saxofon spielen lassen. Du hast mich alles gelehrt. (…) Bewegungs-Skills waren dir immer wichtiger als Kraft-Skills. Ich glaube, das hat zu meiner Langlebigkeit beigetragen. (…) Du bist meine gesamte Karriere hindurch mein Mentor gewesen, und ich werde immer dankbar sein, was du für mich getan hast.

Alle rhetorischen Qualitäten müssen balanciert sein; das gilt sogar für die Bescheidenheit. Allzu viel davon kann auch aufgesetzt und kokett wirken und die sympathische Eigenschaft wie eine Masche wirken lassen. Jede Tugend, das betonte schon Aristoteles, braucht eine Gegentugend, die sie balanciert, damit sie nicht in die Übersteigerung kippt und zur Untugend wird.

Eine passende Gegentugend zur Bescheidenheit ist das Selbstbewusstsein, dass jedoch seinerseits leicht in Arroganz kippt. Deshalb wird es am besten humorvoll serviert. Eine Kostprobe seines hintergründigen Humors lieferte der Redner nach einer ergreifenden Dankesbotschaft bei folgendem gefeierten Seitenhieb auf zwei seiner engsten Teamkameraden: Steve Nash und Jason Kidd.

Gern hätte ich mit diesen beiden in ihrer Blüte zusammengespielt. Leider musste ich mich mit dem begnügen, was sie mir geben konnten.

Den Wert des Respekts widmete Dirk Nowitzki ausgerechnet seinen internen Konkurrenten: den anderen Spielern, die im Jahrgang 2023 in die Hall of Fame aufgenommen wurden. Respekt bekommt man, indem man ihn zeigt. Auch das ist ein rhetorischer Ausdruck von Bescheidenheit, der einem Redner – und jedem Menschen – eine ungeheure Würde verleiht.

Ich mochte euch nicht immer. Wir standen immer auf dem höchsten Niveau miteinander im Wettbewerb. Aber ich habe immer eine starke Wertschätzung für eure Größe empfunden. (…) Es ist eine Ehre, mit euch zu gehen, und es erfüllt mich mit Ehrfurcht.

Die Einzelteile einer Rede müssen zur Kernbotschaft und Gesamtwirkung beitragen – inhaltlich, aber auch methodisch. Nicht nur im Storytelling und in seinen Dankesworten, sondern auch in seiner Bildsprache zahlte der sanfte Riese auf seinen Ruf als bescheidener Teamplayer ein. Ein gutes Beispiel dafür ist folgende Metapher in Huldigung seines Teams, der Dallas Mavericks:

Niemand kann allein eine Sinfonie pfeifen. Es braucht ein ganzes Orchester, um sie zu spielen. Ich hatte das Glück, in Dallas ein Orchester zu haben.

Am Ende seiner Dankesworte schloss sich der Kreis, biografisch wie auch rhetorisch. Denn am Ende dankte Dirk Nowitzki den Menschen, von denen er nach eigener Aussage jene Bescheidenheit gelernt hat, die ihn zu einem der beliebtesten Sportler der Welt gemacht hat:

Eine extrem wichtige Botschaft ist mir die Qualität der Bescheidenheit, und die habe ich von meinen Eltern gelernt. Ihr habt so viel geopfert und eure Leben zurückgestellt, damit Silke {Dirk Nowitzkis Schwester, Anm. d. Verf.} und ich unsere Sportlerträume verfolgen konnten. (…) Was Ihr für mich gemacht habt, werde ich nie vergessen, für den Rest meines Lebens. Wenn ich auch nur ein halb so guter Vater werde, wie ihr Eltern für mich gewesen seid, dann bin ich glücklich. Danke.

Bevor der Star des Abends am Abend seiner großen Ehrung diese Sätze sprach, hatte er übrigens unter Beweis gestellt, dass er sich in der Tat selbst nicht immer zu ernst nehmen muss. Bevor er sich in seiner Muttersprache an seine Eltern wandte, warnte er die amerikanischen Zuhörer:

Die nächsten Sätze sind übrigens nicht in meinem Akzent, sie sind tatsächlich auf Deutsch.

Dirk Nowitzkis Rede hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie wichtig es ist, die Publikumsorientierung und die Rednerorientierung richtig zu interpretieren – besonders bei Redeanlässen, bei denen die Balance leicht kippen kann. In der Form sollte sich zeigen, wer ein Redner ist und was ihn auszeichnet. Die Botschaft dagegen sollte sich an die Zuhörenden richten – ganz egal, aus welcher Fallhöhe sie gesendet wird.

Auch für mich war Dirk Nowitzkis Rede zur Aufnahme in die Hall of Fame ein einmaliges Ereignis, das nicht nur zu den rhetorischen Highlights meines Lebens zählt. Ich wünsche Dirk, dass sie Generationen von jungen Spielern, ja Generationen von jungen Menschen inspirieren wird, Großes zu leisten – und gerade deshalb bescheiden zu bleiben.

Die volle Rede von Dirk Nowitzki zur Aufnahme in die Hall of Fame der NBA können Sie hier anschauen.

 

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