
Wenn es der Weltpolitik gerade an einem fehlt, dann sind es Lichtblicke – könnte man meinen. Freundliche Signale scheinen so ziemlich das letzte zu sein, worauf sich die Regierenden dieser Welt derzeit verständigen können. Da werden Wahlkämpfe auf gegenseitigen Aversionen aufgebaut, Regierungskoalitionen scheitern an der Zusammenarbeit, und Kandidaturen geraten zu Machtspielchen auf dem Rücken der Demokratie.
Das kann ja alles nur schiefgehen – oder? Keine Frage, wir leben in herausfordernden Zeiten. Doch zwischen all den Machtworten der letzten Monate entdecke ich durchaus Zwischentöne, die mir Hoffnung machen und meine Neugier auf die politischen, aber mehr noch auf die gesellschaftlichen Debatten schüren, die in diesem Jahr auf uns zukommen werden.
An einigen Äußerungen, die im Rahmen der politischen Großereignisse des vergangenen Jahres 2024 getätigt wurden, möchte ich schlaglichtartig zeigen, warum es sich immer lohnt, auf Zwischentöne zu hören – selbst wenn man schon ganz genau zu wissen glaubt, wo der andere steht.
Kamala Harris: Das Potenzial der Überzeugung
Größe in der Niederlage ist eine Tugend, die nicht nur Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit auszeichnet – aber die besonders. Alle Welt starrt gerade gebannt in das schwarze Loch der Ungewissheit, was nach dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump wohl aus den USA, unseren Beziehungen zu unserem wichtigsten strategischen Partner und der Welt im Großen und Ganzen wird. In all dem Getöse ist fast untergegangen, welche Töne diejenige angeschlagen hat, die in dieser ganzen Debatte am meisten abbekommen hat: die demokratische Kandidatin Kamala Harris. Zwei Tage nach ihrer überraschend deutlichen Niederlage stellte sie sich vor ihre Anhänger und die Kameras der Weltöffentlichkeit – und verbreitete statt Weltuntergangsstimmung eine Botschaft der Hoffnung.
„Wir haben in der Überzeugung gehandelt, dass wir alle mehr gemeinsam haben, als uns unterscheidet. (…) Dies ist nicht die Zeit, die Hände in die Luft zu werfen, sondern die Ärmel hochzukrempeln (…) Hört niemals damit auf zu versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
Auch so kann man auf eine Niederlage reagieren – vergleichsweise selbstkritisch und ganz ohne Vorwürfe von Wahlfälschung und Foulplay. Dieser Kampf für eine bessere Welt, so Harris weiter, werde auch in den kleinen Gesten des Alltags geführt: indem man einander mit Freundlichkeit und Respekt begegnet, zum Beispiel.
Das ist schließlich der positive Kern in jeder Niederlage: Wenn man von unten beginnt, ist viel Luft nach oben. In dieser Perspektive eines unbegrenzten Potenzials für Selbst- und Nächstenliebe kann große Freiheit liegen.
Donald Trump: Hoffnung wiegt schwerer als Verurteilungen
Ich möchte dem alten, neuen US-Präsidenten keine Gute-Laune-Rhetorik unterstellen, doch eines darf man nach seinem überraschend deutlichen Triumph festhalten: Er hat es geschafft, seinen Anhängern Hoffnung auf bessere Zeiten zu geben – was auch immer man von dieser Zukunftsvision halten mag. An konkreten und für seine Zielgruppe positiven Versprechen hat es in seinem Wahlkampf nicht gemangelt: von der Stärkung der Wirtschaft über das Heraushalten aus Kriegen bis hin zur Erhöhung der Kaufkraft. Ob er all diese Versprechen wird halten können, darf bezweifelt werden, doch Fakt ist: Die optimistische, anpackende Rhetorik hat funktioniert und sogar die Tatsache überwogen, dass man gerade einen mehrfach verurteilten Straftäter zum Präsidenten wählt.
Anti-Wahlkampf, soviel dürfen wir festhalten, funktioniert nicht. Das ist eine Feststellung, die wir in unseren Alltag mitnehmen dürfen: Menschen dürsten in diesen Zeiten nach positiven Zukunftsaussichten. Wenn wir für etwas kämpfen, haben wir es nicht nötig, uns am negativen Dagegen abzuarbeiten. Man muss nicht den Teufel an die Wand malen, um eine bessere Welt zu skizzieren. Wenn wir Wahlkampf unter der Überschrift „es gibt schlimmere“ führen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn keiner versteht, wofür wir eigentlich stehen und warum man uns wählen sollte. Wer die Wahl hat, will sich für etwas entscheiden – nicht aus Angst.
Wenn wir eines aus den Überraschungen der gegenwärtigen Politik lernen können, dann das: Positive Ergebnisse entstehen durch positive Argumente. Lieber Für als Wider!
Olaf Scholz: Klar in der Sache ist gut, respektvoll zum Menschen wäre besser
In seiner umfangreichen Aus- und Ansprache zur Kündigung von Finanzminister Christian Lindner hat Olaf Scholz sich ungewohnt klar, überzeugt und sogar emotional gezeigt. Vieles, was ihn zu dieser einschneidenden Entscheidung geführt zu haben scheint, ist in der Sache aus seiner Perspektive als Noch-Regierungschef zumindest nachvollziehbar, wie auch immer man inhaltlich dazu stehen mag.
Gemangelt hat es zwischen den vielen Worten leider an einer Komponente, die ich von einem Regierenden erwarte, zumal innerhalb einer Koalition: Klarheit in der Sache braucht als ausgleichenden Faktor den Respekt zum Menschen. Nur im Zusammenspiel beider Faktoren kann Rhetorik ihre volle Wirkung entfalten, ohne dass dabei verbrannte Erde entsteht.
„Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“
All das mag in der Sache richtig sein – und genau darauf hätte der Kanzler sich fokussieren können. Sich in Vorwürfen zu ergehen, führt in keiner Form der rhetorischen Auseinandersetzung zu Ergebnissen, und am wenigsten in der öffentlichen. Man kann Menschen persönlich kritisieren, ohne sie anzugreifen – auf diplomatische Art und Weise
In der Sache mag der Kanzler erreicht haben, was er an dieser Stelle bewirken wollte. Doch wie er selbst dabei auf die Menschen gewirkt hat, steht auf einem anderen Blatt. In dieser Hinsicht, das sei der Fairness halber klargestellt, haben sich beide Kontrahenten allerdings nichts geschenkt …
Robert Habeck: Kanzlerkandidatur vom Küchentisch
Für eine Überraschung hat auch Vizekanzler Habeck kurz nach dem Zusammenbruch der Regierungskoalition gesorgt – allerdings eher für eine hemdsärmelige als für eine handfeste. Kurzerhand vom Küchentisch meldete er seine Ansprüche auf die Kanzlerschaft bei der vorgezogenen Bundestagswahl in wenigen Monaten an. Darüber kann man geteilter Meinung sein, Fakt ist aber: Das war mal was anderes als die gewohnte, kampfeslustige Machtmetaphorik, derer sich die übrigen Beteiligten der Koalition im selben Zeitraum mal wieder bedienten.
„Ich kandidiere als Bürger dieses Landes, der nicht hinnehmen mag, dass Schlechtreden und Populismus uns die Zukunftskraft rauben. Ich kandidiere in dem Wissen, dass man Menschen davon überzeugen muss, dass sie einem vertrauen.“
Dabei zeigte sich einmal mehr, was den Grünen – wohlgemerkt jenseits jeglicher inhaltlicher Position – rhetorisch auszeichnet: Er kann schwierige Themen und unangenehme Wahrheiten auf eine Art und Weise kommunizieren, die man sich gern anhört. In einer Zeit, in der andere nur noch behaupten, statt zu erklären, stellt das durchaus einen Gewinn für die politische Landschaft dar.
Freundlichkeit kommt in vielerlei Form daher. Gerade aus der Politik, zumal der erfolgreichen, kann man das lernen. Eine Einladung zum Gespräch an den politischen Kontrahenten etwa ist eine politische Geste, von der wir uns durchaus auch im Alltag öfter mal ein Beispiel nehmen könnten. In der Diplomatie kann selbst in einer offenen Konfrontation noch ein Verhandlungsangebot enthalten sein. In jeder professionellen Verhandlung gibt es einen Korridor zur Einigung, wie eng auch immer er sein mag. Manchmal verbirgt sich Freundlichkeit in der Politik zwischen den Zeilen. Nur wer anderen konstruktive Absichten zugesteht, kann die Haltung seines Gegenübers wirklich zu verstehen hoffen. Manchmal braucht die freundliche Haltung das freundliche Wort erst im zweiten Schritt. Wenn wir einander so viel Spielraum geben, kann manches Spannungsfeld fruchtbarer sein, als es sich auf den ersten Blick darstellen mag.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bis dahin lohnt es sich immer, weiter zuzuhören – und Freundlichkeit erkennen zu wollen, wo man sie zu finden hofft.