
Verstehen und verstanden werden:
Die unterschätzte Kraft des Zuhörens
96 % der Fachkräfte in Unternehmen sind überzeugt, gute Zuhörer zu sein[1]. Ein erfreuliches Studienergebnis, finden Sie nicht? Die Welt braucht interessierte Menschen, die sich um andere bemühen und sich selbst auch mal zurücknehmen. Wir sind also auf einem guten Weg.
So sehr uns positive Nachrichten dieser Tage guttun, so sehr muss ich diese Ergebnisse relativieren. Denn es bleibt die Frage, warum so viele Mitarbeitende dennoch das Gefühl haben, nicht gehört zu werden. Eine weitere Studie ergänzt das Bild. Sie zeigt, dass sich 86 % der Mitarbeitenden in ihren Organisationen nicht fair oder gleich gehört fühlen. 63 % fühlen sich sogar ignoriert, wenn sie versuchen, ihre Anliegen gegenüber Führungskräften vorzubringen.[2]
Beim Zuhören kann das nicht nur frustrierend für diejenigen sein, denen nicht zugehört wird. Es hat auch messbare Konsequenzen: Ein Drittel der Befragten gab an, lieber zu kündigen oder das Team zu wechseln, als ihre Bedenken offen auszusprechen.
Die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Eine kognitive Verzerrung
Nun ist es nicht so, dass sich diese Studien widersprechen. Es gibt vielmehr eine Diskrepanz zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Bei der Kommunikation erleben wir das an verschiedenen Stellen und das ist völlig normal. So glauben wir manchmal, überzeugend gewirkt zu haben und trotzdem wurden unsere Ideen nicht berücksichtigt. Andersrum denken wir, unsere Rede hat andere gelangweilt, dabei waren die Zuschauer nur deshalb so still, weil wir sie mit unseren Worten berührt haben. Fakt ist: Wir urteilen über unsere Wirkung auf Basis des eigenen Eindrucks, während sie vom Gegenüber bestimmt wird.
Die Kunst des Zuhörens liegt in der Fähigkeit sich einzulassen
Um von anderen als guter Zuhörer wahrgenommen zu werden, braucht es mehr als pauschale Zuhör-Strategien. In seinem neuen Buch „supercommunicators“[3] beschreibt Charles Duhigg, was die Voraussetzung für gutes Zuhören ist: Sie müssen erkennen, um welchen Gesprächstypen es sich gerade handelt. Die Art, wie Sie zuhören, hängt im Idealfall – so der Autor – von den Bedürfnissen unseres Gegenübers und von der Art des Gesprächs ab.
Sehr stark vereinfacht finden wir uns zu jeder Zeit in einem dieser Gesprächstypen (oder einer Mischform) wider:
- Das entscheidungsorientierte Gespräch
- Das emotionale Gespräch
- Das soziale Gespräch
Das entscheidungsorientierte Gespräch: Lösungen im Fokus
Wenn Sie erkennen, dass Ihr Gegenüber mit einer konkreten Problemstellung auf Sie zukommt und alternative Lösungen abwägen möchte, strebt er eine Entscheidungsfindung an. Er wird es also schätzen, wenn Sie die Kernfragen und die Zielsetzung verstehen und auf kognitiver Ebene an der Lösungsfindung mitwirken.
Das emotionale Gespräch: Verstehen statt lösen
Ganz anders – fast gegenteilig – verhält es sich, wenn jemand auf Sie zukommt und von einem emotionalen Erlebnis erzählt. Bei diesem Gesprächstyp geht es oft darum, dass Erlebnisse verarbeitet werden und Emotionen geteilt werden wollen. Hier hören Sie zu, um das Problem zu verstehen, nicht um es zu lösen. Das ist für viele Menschen eine Herausforderung, weil wir Probleme nicht endlos diskutieren, sondern sie schnell aus der Welt schaffen wollen. Wer ein ungeduldiges Naturell mitbringt, hat es besonders schwer. Sie werden dann nicht nur dazu tendieren, Ratschläge zu geben, um die Sie nicht gebeten wurden, sondern Ihr Gegenüber auch unterbrechen und im schlimmsten Fall belehren.
Mein Tipp: Fassen Sie zusammen, anstatt Lösungen anzubieten, bspw. indem Sie aktiv paraphrasieren. Mit Sätzen wie „Ich habe verstanden, dass du dich in dieser Situation überfordert fühlst, weil… Stimmt das so?“ können Zuhörer nicht nur das Gehörte validieren, sondern auch sicherstellen, dass keine wichtigen Informationen verloren gehen. Um sich selbst zu disziplinieren, können Sie gerne auch stichwortartig mitschreiben, was Sie gehört haben. Gerade im beruflichen Kontext und bei längeren Gesprächen bietet sich das an. Das ist nicht respektlos, sondern zeigt Ihr Interesse am Gesagten.
Das soziale Gespräch: Beziehungen aufbauen
Den dritten Gesprächstyp, das soziale Gespräch, erleben wir oft in Kennenlernsituationen oder bei einer lockeren, weniger tiefgründigen Plauderei. Hier geht es vor allem um Beziehungsbildung. Ein guter Zuhörer kennzeichnet sich durch sein Interesse an der Perspektive und den Erfahrungen des anderen oder der Gruppe. Er unterstützt dabei, die soziale Dynamik zu reflektieren und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Das macht er, indem er neugierig ist und Fragen stellt.
Unter anderem weil wir den Gesprächstyp falsch einschätzen oder uns gar nicht darum bemühen ihn zu erkunden, entsteht eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Wenn wir bspw. die Probleme des anderen versuchen zu lösen, während dieser lediglich über eine emotionale Situation reflektieren möchte, fühlt er sich nicht gesehen. Sie glauben derweil, besonders gut zugehört zu haben, weil Sie Lösungen beigesteuert haben.
Die Schwierigkeit beim Zuhören besteht darin, nicht von uns selbst auszugehen, sondern uns auf den anderen und seine Bedürfnisse einzulassen. Diese Bedürfnisse und den Gesprächstyp müssen Sie nicht erraten oder gar spekulieren. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie Ihr Gegenüber, was er sich von Ihnen wünscht.
Zuhören: Nur wer lernbereit ist, kann sich verbessern
Aufmerksames Zuhören beginnt mit der Bereitschaft, daran zu arbeiten. Doch genau hier liegt die Herausforderung: Wenn 96 % der Fachkräfte überzeugt sind, es bereits zu können, fehlt der Anreiz zur Veränderung. Um ein besseres Gespür dafür zu entwickeln, wo unser Selbstbild von der Fremdwahrnehmung abweicht, lohnt es sich, regelmäßig Feedback einzuholen – sei es nach einem Vortrag, in Gesprächen oder eben bei der Frage, wie gut wir zuhören. Bessere Zuhörer werden wir dadurch noch nicht. Aber unser Mut, sich der Wahrnehmung anderer auszusetzen ist ein erster, wichtiger Schritt. Aus meiner Erfahrung bei der Arbeit mit Menschen kann ich Ihnen sagen: Manchmal sind es gerade diese kleinen Schritte, die einen großen Unterschied machen.
Passend dazu bieten wir im September dieses Jahres erstmals das neue Spezialseminar „Begegnungsqualität“ an. Hier können Sie wichtige Gesprächskompetenzen wie empathisches Zuhören und emotionale Stärke unter der fachkundigen Anleitung von Hannah Panidis, Marc Gassert und dem Gastredner Deniz Aytekin erlernen. Mehr über das neue Format erfahren Sie gleich hier.
[1] Accenture: #ListenLearnLead (https://newsroom.accenture.com/news/2015/accenture-research-finds-listening-more-difficult-in-todays-digital-workplace)
[2] UKG: The Heard and the Heard-Nots: (https://www.ukg.com/blog/workforce-institute/new-research-the-heard-and-the-heard-nots?ms=3771.4285714285716)
[3] Duhigg, Charles: Supercommunicators: Wie man die geheime Sprache zwischenmenschlicher Beziehungen entschlüsselt, berlin Verlag, 2024