Vier gewinnt

Vier gewinnt

Was wir von Thomas D über Rhetorik lernen können

Thomas D ist mit und ohne die Fantastischen Vier seit über 25 Jahren eine der schillerndsten Musiker-Persönlichkeiten des Landes. Was er über seine Karriere, das Leben und die Berühmtheit zu sagen hat, ist nicht nur musikhistorisch ein Hit: Vier Lehren, die ich aus einem Vortrag von Thomas D über wirkungsvolle Rhetorik gezogen habe.

Eines der schönsten Incentives eines Redner-Lebens sind die spannenden Menschen, denen man bei Veranstaltungen begegnet – vor, hinter und auf der Bühne. Bei einem Vortrag in Glashütten habe ich es besonders gut erwischt: An diesem Tag fand ich mich auf der Rednerliste neben Thomas D wieder – dem Urgestein des deutschen Hip Hop. Auch über ein Vierteljahrhundert nach „Die da?!“, dem ersten großen Hit der Fantastischen Vier, ist der inzwischen 50-Jährige noch immer eine der erfolgreichsten Figuren der deutschen Musikszene –auch als Produzent und Mentor junger Musiker.

Dass Thomas D auch ein mitreißender Redner ist, darf eigentlich niemanden überraschen: Schon immer wusste der Ausnahme- Künstler aus Ditzingen seine Stimme auch über die Musik hinaus zu nutzen. Regelmäßig nimmt er eloquent und streitbar zu Gesellschaftsthemen Stellung und setzt sich u. a. für Umweltthemen, einen nachhaltigen Lebensstil, benachteiligte Kinder und gegen Rassismus ein.

Entsprechend freute ich mich darauf, ihn über seinen Werdegang sprechen zu hören und gut unterhalten zu werden. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte: Nach dem Vortrag war ich nicht nur bestens unterhalten und um zahlreiche Geschichten aus einem spannenden Lebenswerk reicher – sondern auch um einige Erkenntnisse, die sich direkt auf die Rhetorik übertragen lassen.

Vorhang auf für vier Prinzipien wirkungsvoller Rhetorik – frei nach Thomas D.

 

1. Authentizität: Gehört wird, wer sich nicht verbiegt

Die Fantastischen Vier entstehen, so wie viele gute Ideen und Erfolgsgeschichten, aus einer persönlichen Leidenschaft heraus. Die vier Bandmitglieder sind zu Beginn der 90er Jahre ganz einfach Hip Hop-Fans – noch bevor diese Musikrichtung in Deutschland überhaupt ein echtes Thema ist. Nur einige Insider beschäftigen sich damals ernsthaft mit Hip Hop – und es gibt ihn nur auf Englisch. So versuchen sich auch die Fanta 4 zunächst in der Ursprungssprache des Stils.

Bei einer Session mit amerikanischen Kollegen lernen die jungen Enthusiasten jedoch schnell, was Fremdschämen bedeutet. So besinnen sie sich an Ort und Stelle ganz einfach auf ihre Stärke. Mitten in der Session wechseln sie kurzerhand die Sprache. Daraufhin wechselt auch die Reaktion der Amerikaner von Fremdschämen zu Begeisterung: „Oh, that’s real!“ Die Geburt einer deutschen Musiklegende – auf der Basis von Authentizität.

Mit einer weiteren Anekdote verdeutlicht Thomas D, wie wichtig das Prinzip Authentizität auch für die langfristige Entwicklung einer Bühnenpersönlichkeit ist. Das zweite Album der Fantastischen Vier wird aus Sicht der Plattenfirma zum Flop. Die reifere, stilistisch weiterentwickelte Platte bringt es nur auf ein Drittel der Verkaufszahlen des ersten Albums. „Für uns war dieses Album aber sehr wichtig, damit wir uns als ernsthafte Band etablieren konnten.“

Der Rest ist Geschichte. Den eigenen Weg konsequent zu gehen ist auf lange Sicht eben wichtiger, als auf den wankelmütigen Zeitgeist zu hören.

Den Stil anderer zu kopieren und Trends hinterherzujagen führt auch in der Rhetorik in den seltensten Fällen zu nachhaltigem Erfolg. Jede langfristig erfolgreiche Rednerpersönlichkeit hat sich die Aufmerksamkeit durch ihren individuellen, mit der Zeit gewachsenen Stil erarbeitet. Das Publikum spürt immer, wenn ein Redner sich verbiegt. Die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten zu nutzen und konsequent auszuspielen ist immer das bessere Rezept.

 

2. Begeisterung: Am besten wirkt, wer sich nicht zu sehr um die Wirkung schert

Die ersten Konzerte der Fantastischen Vier sind laut Gründungsmitglied Thomas D gelinde gesagt experimentelle Veranstaltungen. „Wir waren ja keine richtige Band“, sagt der Frontmann: Einer rappt, einer scratcht, zwei zappeln. Aber die vier haben sichtlich Spaß dabei – und das bleibt auch dem Publikum nicht verborgen. Wenn die so abgehen auf der Bühne, dann ist das vielleicht das neue große Ding? Irgendwann entwickelt dieses Resonanzprinzip dann eine Eigendynamik – und beginnt Hallen zu füllen.

So oder so ähnlich haben schon viele Erfolgsgeschichten begonnen: Begeisterung steckt an. Wenn der Akteur überzeugt genug ist von dem, was er tut, überträgt sich sein Enthusiasmus auch auf andere Menschen. Mit Freude bei der Sache zu sein ist wichtiger als krampfhaft in eine Schublade passen zu wollen.

Auch in der Rhetorik wird die Publikumsanalyse oft überschätzt und die Redneranalyse unterschätzt. Wichtiger als alle Trends und Kategorien ist, dass sich die Begeisterung des Redners auf das Publikum überträgt. Wer Spaß an seinem Thema hat, wirkt immer. Wenn es authentisch und themenzentriert ist, kann sogar erratisches Gezappel für Standing Ovations sorgen – schließlich ist das Überraschungsmoment ein wichtiger rhetorischer Wirkverstärker.

 

3. Reduktion: Weniger wirkt mehr

Eine direkte Parallele zwischen Musik und Rhetorik ist auch die rigorose Qualitäts- und Quantitätskontrolle. Den Entstehungs- prozess eines Erfolgs-Albums beschreibt der Chart-Veteran mit einer einfachen Formel: „Alles, was nicht hammergeil ist, kommt weg.“ Ein großartiger Merksatz auch für die Entwicklung einer guten Rede.

Bei der Vorbereitung ist es leicht, dem „Fluch der vielen Worte“ zu erliegen. Wir beschäftigen uns monate-, vielleicht jahrelang mit einem Thema – und haben dann viel zu sagen. Doch je mehr wir sagen, desto weniger wirkt die einzelne Aussage. So schmerzhaft es sein mag: Alles, was auch nur einen Halbsatz zu weit von der Kernbotschaft wegführt oder die Rede insgesamt nicht aufwertet, gehört gestrichen.

Das Prinzip mag kontraintuitiv klingen, ist aber eines der wichtigsten Prinzipien der rhetorischen Wirkung: Mehr sagen heißt nicht mehr wirken. Weniger ist in der freien Rede fast immer mehr. Jedes überflüssige Wort, das wir addieren, subtrahiert Wirkung. Wenn Sie es mir nicht glauben, glauben Sie es einem, der seine Eloquenz freiwillig in Reime presst und für jede Botschaft nur drei Minuten hat.

 

4. Entwicklung: Wirkung hat ein Verfallsdatum

Routine wird bei Bühnenpersönlichkeiten oft als Qualitätsmerkmal betrachtet, doch sie hat auch ihre Tücken. Wer könnte das besser beurteilen als einer, der seine größten Hits Tausende Male zum Besten gegeben hat. Irgendwann, so Thomas D, kommt der Punkt, wo man keinen Bock mehr auf die eigenen Songs hat. Dann braucht man neue Songs, um sich selbst zu „kicken“, wie der Künstler es beschreibt.

Auch für Redner ist es wichtig, ein Gefühl für die Vergänglichkeit von Wirkung zu entwickeln. Nicht nur, weil das Publikum irgendwann auch des größten Hits überdrüssig wird. Sondern auch, damit man auf der Bühne den Spaß am eigenen Tun nicht verliert und sich immer wieder neu herausgefordert fühlt.

Das heißt nicht, dass man ständig ein neues Thema bräuchte. Aber wenn ich ein- und denselben Vortrag jahrelang immer wieder unverändert abspule, stellen sich irgendwann die Nebenwirkungen von zu viel Routine ein: Mit der Begeisterung lässt auch die Spannung nach. Die Sprache setzt Patina an, die Vortragsweise wird nachlässig, die Emotionen verblassen. Diese Unlust überträgt sich unweigerlich auf die Zuhörer.

Deshalb ist es immer eine gute Idee, bekannte Motive zu variieren: Beispiele zu aktualisieren, neue Passagen einzufügen, Metaphern und Geschichten aufzufrischen. Neue Inhalte und sprachliche Experimente zwingen mich, beim Reden achtsam und wach zu sein. Und sie helfen mir, den Sog des Themas auch selbst immer wieder aufs Neue zu spüren.

Bonus-Tipp vom Superstar: Schummeln ist besser als Blackout

Ein „Geständnis“ von Thomas D, das mich besonders überrascht hat, habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Es hat nur indirekt, dann aber doch sehr viel mit rhetorischer Wirkung zu tun. Denn es betrifft die ewige Frage, ob man seinem Gedächtnis vor Publikum auf die Sprünge helfen darf.

Ja, auch Superstars müssen sich Texte merken. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass das gerade bei wortreichen Hochgeschwindigkeits-Raps manchmal zum Haare Ausraufen schwierig ist – besonders dann, wenn man zum ersten Mal mit neuen Songs auf der Bühne steht.

Bei einem Titel hatte Thomas D damit nach eigener Aussage besonders große Schwierigkeiten: Der Song „MfG“ vom 1999er Album „4:99“ enthält schier endlose Salven von Abkürzungen, die der Rapper in kürzester Zeit und im Takt abfeuern musste, denn die Musik bleibt nun mal nicht stehen. Eine kleine Kostprobe: „ARD, ZDF, C&A; BRD, DDR und USA; BSE, HIV und DRK; GbR, GmbH – ihr könnt mich mal.“ Und so geht das weiter – 32 von 43 Zeilen des Songs bestehen aus Kürzeln.

Wie hat er das bloß fehlerfrei hingekriegt? „Am Anfang hatte ich tatsächlich einen Notenständer auf der Bühne stehen und habe beim Rappen draufgeschaut“, gibt er zu. Hat es seiner Wirkung irgendeinen Abbruch getan? Natürlich nicht. Wen interessiert ein Notenständer, wenn daneben Thomas D eskaliert?

Mal ehrlich: Wenn sogar er sich auf der Bühne lieber das Manuskript zugänglich macht, als das Risiko eines Texthängers einzugehen, dann können wir wirklich mal aufhören, Gedächtnisstützen zu verteufeln.

 

Wirkung hoch vier: Die rhetorischen Lehren nach Thomas D

Ob man mit der Musikrichtung Hip Hop etwas anfangen kann oder nicht: Vom Bühnenprofi Thomas D können wir eine Menge lernen. Niemand kennt die Do’s und Don’ts der Wirkung vor Publikum besser als ein Megastar, der jahrzehntelang vor Millionen von Menschen unter höchstem Erwartungsdruck aufgetreten ist. Vom hohen persönlichen Anspruch ans eigene Tun ganz zu schweigen. Und den merkt man auch dem Redner Thomas D an.

Viele der Geschichten, die er bei seinem Vortrag erzählt hat, haben mich an die großen Fragen und die großen Schmerzpunkte der Rhetorik erinnert, an denen sich selbst geübte Redner noch die Zähne ausbeißen können.

 

Hier noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst:

1. Authentizität:

Am besten wirken Redner, die ihren eigenen Stil entdeckt haben und sich auch im Ausdruck auf ihre persönlichen Stärken berufen.

2. Begeisterung:

Emotionen übertragen sich dann am besten aufs Publikum, wenn sie echt sind – weil der Redner Freude an seinem Thema hat.

3. Reduktion:

Bloß nicht zu viel sagen – je mehr Überflüssiges man weglässt, desto besser können die wirklich starken Inhalte wirken.

4. Entwicklung:

Die beste Vorbeugung gegen den Verschleiß von Inhalten und Wirkungskraft besteht darin, das Thema stetig neu zu erfinden. Hip Hop und Rhetorik haben eben einiges gemeinsam: Geil muss es schon sein.

 

Kommen Sie gut an!

Ihr René Borbonus

Hier gehts zum pdf-Download „Vier gewinnt“.

 

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