Herdentiere leben länger

Herdentiere leben länger

Wie wir gesund bleiben, indem wir miteinander reden

Gelingende Kommunikation tut gut. Dafür gibt es viele gute Argumente, auch ohne dass man gleich wissenschaftlich werden müsste. Denn jeder kennt die andere Seite: den Stress, den es verursacht, wenn misslungene Kommunikation unter die Gürtellinie, auf die Stimmung und auf den Magen schlägt, nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Auch den aufgestauten Frust, wenn wir Probleme in uns hineinfressen, anstatt sie anzusprechen, hat jeder schon empfunden – also wenn wir überhaupt nicht kommunizieren. Genauso ist uns allen die beglückende Wirkung vertraut, die gelingende Kommunikation auf uns hat: Wenn wir durch gute Argumente ein berufliches Ziel erreichen, ein privates Problem durch ein klärendes Gespräch aus der Welt schaffen oder mit der richtigen Strategie in einer schwierigen Phase zu unseren Kindern durchdringen.

Gelingende Gespräche tun uns mental und physisch gut, weil sie uns helfen Stress zu vermeiden und Glück zu erleben – zwei hormonell extrem wirksame Zustände. Das alles wissen wir als aufgeklärte Informationsbürger, und arbeiten genau deshalb bewusst an unserer Kommunikation. Jedenfalls setze ich das bei Ihnen als Leser dieses Beitrags einmal voraus.

Lassen Sie uns trotzdem wissenschaftlich werden. Denn Studien legen nahe, dass Kommunikation sogar in bisher ungeahntem Ausmaß gesund ist: Die Gemeinschaft anderer verlängert das Leben nach aktuellen Erkenntnissen mehr als jeder andere Faktor. Einen besseren Grund, an unseren Gesprächen als Gestaltungsmittel unserer sozialen Beziehungen zu arbeiten, gibt es nicht.

Wer also bisher geglaubt hat, in dieser durchgeknallten Welt wäre Isolation das letzte Mittel des Selbsterhalts: voll daneben. Eins ist allerdings nicht von der Hand zu weisen: Kommunikation ist nicht gleich Kommunikation.

Gemeinschaft lässt uns länger leben

Was australische Forscher von der Universität Queensland herausgefunden und in einem Buch[1] festgehalten haben, ist angesichts der Art, wie wir heute unser soziales Leben gestalten, allerdings auch ein Warnsignal. In einer Metastudie (also einer vergleichenden Analyse zahlreicher anderer Studien zum Thema) untersuchten die Forscher zum einen, welche Faktoren sich am stärksten auf die Lebenserwartung auswirken – und zum anderen, welche Faktoren wir im Allgemeinen für die wichtigsten halten. Das Ergebnis wäre beinahe amüsant, wenn es nicht so ernst wäre. Auf die Frage, was den größten Einfluss auf die Lebenserwartung hat, gaben die Probanden folgende Antworten am häufigsten:

  1. Nicht rauchen
  2. Körperlich aktiv sein
  3. Nicht übergewichtig sein

Wenn man diese Angaben nun mit den drei Faktoren vergleicht, die die Forscher in ihrer Meta-Studie als diejenigen mit dem tatsächlich höchsten Einfluss auf die Lebenserwartung identifizieren konnten, wird es spannend:

  1. Unterstützung durch andere
  2. Eingebunden sein in die Gemeinschaft
  3. Nicht rauchen

Ganz recht: Menschliche Gemeinschaft und die Unterstützung, die daraus erwächst, sind die wichtigsten Schlüsselkriterien für eine hohe Lebenserwartung. Und hier kommt die Pointe: Ausgerechnet diese beiden Faktoren wurden von den Probanden als am wenigsten wichtig eingeschätzt.[2] Das legt den Verdacht nahe, dass wir in unserem Bemühen um eine gesunde Lebensweise nicht unbedingt die richtigen Prioritäten setzen.

Das Beste, was wir für ein langes Leben tun können, ist die Teilnahme an sozialen Gemeinschaften – Gruppen jeder Art, denen wir uns aus freiem Willen zugehörig fühlen. Und das Gestaltungsmittel für diese und alle anderen Beziehungen in unserem Leben ist die Kommunikation.

Warum schlechte Kommunikationsgewohnheiten krank machen    

Leider hat diese für sich genommen wunderbare Erkenntnis auch einen Pferdefuß, und der lässt sich aus der Diskrepanz der beiden obigen Aufzählungen bereits ablesen: Wir leben in einer Zeit, in der der Faktor Gemeinschaft massiv vernachlässigt wird. Natürlich bewegen wir alle uns irgendwie in sozialen Räumen – aber immer weniger in Gemeinschaften im ursprünglichen Sinne, wie sie uns als Herdentieren guttun.

Was meine ich damit? Zum einen findet immer mehr von unserer Kommunikation – also unserer sozialen Hauptaktivität – online statt, nicht in physischen Gemeinschaften. Und online herrschen leider oft Gepflogenheiten, die nicht als gesund und beziehungsfördernd eingestuft werden können. Das gilt nicht nur für Online-Mobbing und Hatemails, sondern auch für die verknappte, emotional entkoppelte Whatsapp-Kommunikation unter Partnern und die Remote-Kultur am Arbeitsplatz, denen es an wichtigen Aspekten echter Dialoge von Angesicht zu Angesicht fehlt.

Zum anderen vereinsamen wir auch im Sinne unserer gesamten Lebensgestaltung zunehmend. Die These vom Beginn des Internetzeitalters, dass die Menschen durch die globale Vernetzung näher zusammenrücken würden, hat sich leider nur sehr bedingt erfüllt – nämlich als technische, zweckgebundene Möglichkeit, nicht als soziale Realität für jeden Einzelnen.

Tatsächlich verbringen wir einen wachsenden Teil unseres Lebens in physischer Isolation, begleitet von misslingender Kommunikation. Und das hat messbare Auswirkungen auf unsere kollektive Gesundheit. Der Körper reagiert laut dem deutschen Psychologen Manfred Spitzer auf Vereinzelung wie auf jeden anderen Stressor – mit der vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Die führt unter anderem zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel und Bluthochdruck sowie auf Dauer sogar zu einer reduzierten Immunabwehr. Sogar Magengeschwüre und Osteoporose können folgen, wenn der Stresszustand durch Einsamkeit zu lange anhält.[3]

Wer hätte das gedacht: Die mehr oder weniger selbstgewählte Isolation im digitalen Zeitalter macht uns nicht nur schrullig, sondern auf Dauer tatsächlich auch krank. Die Vereinsamung erhöht statistisch gesehen sogar eindeutig das Sterberisiko.[4] Wir fördern den Faktor Gemeinschaft mit unserem Verhalten also nicht; wir schaden uns mit unseren schlechten sozialen Gewohnheiten. Den Vorrang geben wir stattdessen jenen „lebensverbessernden“ Faktoren, die sich im weitesten Sinne als Selbstoptimierung beschreiben und auch in der Isolation fördern lassen: Online-Ernährungsratgeber von Promis zum Beispiel, Schönheits-Yoga ohne professionelle Begleitung vor dem Bildschirm oder ufer-, ahnungs- und expertenlose Laien-Diskussionen in Online-Foren darüber, was uns mindestens umbringen wird, wenn nicht Schlimmeres.

Wir setzen die falschen Prioritäten

Wie wir unsere Prioritäten in Bezug auf das eigene Wohlbefinden setzen und ihnen, ja: zu Leibe rücken, lässt sich gut daran ablesen, wie viele Influencer es in den Bereichen Sport, Fitness und Ernährung gibt. Wie viele gibt es zum Vergleich zu den gemeinschaftsfördernden Themengebieten Kommunikation, Dialoge, Respekt? Wir betreiben lieber Selbstoptimierung in der Isolation, als uns gemeinsam mit anderen um das zu kümmern, was unserer Gesundheit am meisten hilft: unsere Gemeinschaften und Beziehungen.

Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es falsch ist, mit dem Rauchen aufzuhören, Übergewicht abzubauen und sich gesund zu ernähren. Genauso wenig ist es falsch, sich dabei unterstützen zu lassen. Was ich sagen will, ist, dass wir uns selbst das Leben schwer machen, und nach den neuen Erkenntnissen auch noch kürzer. Früher hätte der beste Kumpel gesagt: „Mein Lieber, du hast aber ganz schön zugelegt. Komm doch donnerstags mit zum Volleyball.“ Und dann hätten wir nicht nur einen gesunden, sondern auch noch einen angenehmen gemeinsamen Abend mit vielen neuen Freunden verbracht. Heute lassen wir uns lieber hinter zugezogenen Gardinen von einem Drill Instructor bei YouTube anschreien, dem wir noch nie im Leben begegnet sind.

Warum soll das eine besser sein als das andere? Darauf haben die australischen Forscher eine klare Antwort gefunden: Nicht nur gemeinsam gepflegte gesunde Gewohnheiten wirken sich positiv aus, sondern auch das Beisammensein an sich. Feststellen konnten sie das durch Experimente mit Senioren, die allein oder in der Gruppe gesundheitsfördernde Maßnahmen durchführten. Den Senioren, die als „verschworene Gemeinschaft“ mehr Wasser tranken oder sich mit aktuellen Themen beschäftigten, waren anschließend messbar gesünder als diejenigen, die zwar dieselben gesunden Dinge taten – aber allein.[5]

Kurz: Es ist immer gut, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Noch viel besser wäre es allerdings, all das Gute und Richtige in Gemeinschaft zu tun. Wer einsam schlank ist, ist immer noch einsam – und vernachlässigt womöglich bei aller Fitness noch immer den wichtigsten Gesundheitsfaktor überhaupt.

Beziehungen in den Mittelpunkt rücken  

Höchste Zeit also, unsere Herdentier-Gene zu reanimieren und uns wieder stärker in Beziehung zu setzen – im realen Leben statt nur bei Facebook. Das heißt natürlich zweierlei: erstens, sich besser um die Beziehungen kümmern, die wir schon haben; zweitens, sich stärker in Gemeinschaften einbringen.

Laut Forschern kann schon die Teilnahme an einer einzigen Gruppe die Gesundheit messbar verbessern – vorausgesetzt natürlich, diese Gemeinschaft tut uns gut. Experten empfehlen Gruppen, die sich an ohnehin vorhandenen Interessen orientieren; das kann der Nachbarschafts-Chor sein, die Laien-Schauspielgruppe, ein bürgerschaftliches Engagement oder der Fußballverein. Entscheidend ist, dass man sich in der Gemeinschaft wohlfühlt und füreinander da ist – denn das, so erschreckend es klingen mag, verlernen wir nach und nach.

Das Mittel, um neue Beziehungen jeder Art zu etablieren und auch die vorhandenen langfristig zu pflegen, sind gelingende Gespräche. Das Schöne an der Kommunikation ist, dass man sich ihr gar nicht widmen kann wie einer digitalen, isolierten Selbstoptimierungs-Mission. Dialog geht nur gemeinsam. Sich damit zu beschäftigen heißt automatisch, sich in Gemeinschaft zu begeben.

Drei Impulse für gelingende Kommunikation  

Bleibt die Frage nach dem Wie: Was heißt eigentlich gelingende Kommunikation? Was können wir tun, damit unsere Beziehungen besser funktionieren und wir von den positiven Wirkungen eines Lebens in Gemeinschaft profitieren?

Am wichtigsten ist es, sich überhaupt bewusst mit der eigenen Kommunikation auseinanderzusetzen. Allein dadurch tun wir bereits mehr für unsere Beziehungsfähigkeit und ein funktionierendes Sozialleben als durch jede einzelne „Optimierungsmaßnahme“. Der Grund ist, dass die meisten Gespräche nicht an bewussten Motiven oder rhetorischen Fehlgriffen scheitern, sondern an unbewussten, typabhängigen Kommunikationsmustern.

Drei Impulse können dabei helfen, mit den Mitteln der Kommunikation den Anfang für ein längeres Leben in gesunden Gemeinschaften zu machen:

  1. Mehr kommunizieren: Je mehr Austausch wir mit anderen haben, desto mehr lernen wir über die Welt und über die Gemeinschaften, deren Teil wir sind. Das führt unweigerlicher zu gesteigerter Selbsterkenntnis. Durch Kommunikation finden wir heraus, was uns wirklich wichtig ist und was uns guttut, kurz: Kommunikation schafft Relevanz im Leben.
  2. Zuhören üben: Wenn wir bedeutungsvolle Beziehungen anstreben, wird uns das nur gelingen, wenn wir uns auf offene Dialoge auf Augenhöhe einlassen. Dabei ist das Zuhören genauso wichtig wie das Reden. Damit erweisen wir dem Anderen unseren Respekt – und der ist das Bindemittel jeder funktionierenden Gemeinschaft.
  3. Kritikfähigkeit bewahren: Damit Beziehungen langfristig gelingen, ist es auch wichtig, offen für Kritik zu bleiben. Wir können nur an Beziehungen wachsen und in Gemeinschaften bestehen, wenn wir Reibungen aushalten und klären lernen. Auch diese Wirkung der Kommunikation ist wissenschaftlich belegt: Der Dialog hilft uns verstehen, wer wir sind.

Kommunikation formt Beziehungen, und Beziehungen formen Lebensqualität. Kommen Sie gut an!

Ihr

René Borbonus

 

[1] Catherine Haslam et al.: The New Psychology of Health – Unlocking the Social Cure, Taylor & Francis 2018

[2] Susie Reinhardt: Die Medizin der Gemeinschaft, Psychologie heute 02/2019, S. 67

[3] Ebd., S. 67

[4] Ebd., S. 66

[5] Ebs., S. 66

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