Je heißer das Thema, desto wichtiger ein kühler Kopf

Die Erderwärmung sollte eigentlich das heißeste Thema in unser aller Wahrnehmung sein. Die Tatsache, dass das Interesse an dieser Debatte inmitten all der anderen Krisen erkennbar abgenommen hat, zeigt, wie irrational der öffentliche Diskurs sein kann. Ohne behaupten zu wollen, dass die tektonischen Verschiebungen in der Weltpolitik unsere Aufmerksamkeit nicht verdienen würden: das Thema Klimawandel lässt sich nicht verdrängen.

Die katastrophalen Brände in Los Angeles haben uns das mit Macht in Erinnerung gerufen. In anderen Zeiten hätten sie die Nachrichten dominiert – als neuer Meilenstein in einer Entwicklung, die unsere Zukunft bestimmen wird wie kein zweites Thema.

Möglicherweise ist es dem Umstand geschuldet, dass die größte Aufregung gerade auf anderen Baustellen herrscht; vielleicht liegt es auch an der räumlichen Distanz, dass die Betrachtung dieses Beispiels hierzulande einige interessante Überlegungen anstieß. In einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 19. Januar 2025 unter der Überschrift „Was kostet uns die Erderwärmung?“ lieferten die Autoren ein Praxisbeispiel dafür, wie das antike Prinzip von These – Antithese – Synthese in unseren Gegenwartsdebatten Klarheit schaffen kann, ohne unqualifiziert vereinfachen zu müssen.

Der erste Schritt zur Lösung: Die Gegenposition anerkennen

Eines der zentralen Probleme der Debatte um die Erderwärmung ist die Tatsache, wie verhärtet die Fronten bei diesem Thema inzwischen sind. Bevor es überhaupt zur Diskussion um Sachargumente kommen kann, schreit man sich gegenseitig nieder. Die Befürworter von Klimaschutzmaßnahmen neigen dazu, die Kostenfrage kategorisch zu ignorieren; im Gegenzug erklären die Gegner jegliche Maßnahme pauschal für unbezahlbar.

Eine Lösung kann, wie bei jedem banalen Alltagsdisput auch, nur in einer Annäherung liegen. Doch dafür ist es notwendig, dass beide Seiten zumindest die Berechtigung einer Gegenmeinung anerkennen. Erst dann ist es möglich, über solche Ereignisse wie die Feuer in Los Angeles überhaupt pragmatisch zu diskutieren und konkrete Erkenntnisse daraus abzuleiten, anstatt bei Bezichtigungen stehenzubleiben.

„… Während deutsche Politiker darüber streiten, wie viel Klimaschutz die Wirtschaft sich überhaupt leisten kann, kommen Forscher zu der Folgerung: Klimaschutz mag teuer sein, aber kein Klimaschutz ist teurer.“

Mit dieser Gegenüberstellung stellen die Autoren kommentar- und emotionslos die entgegengesetzten Positionen in den Raum und stecken damit das Spielfeld der Betrachtung ab. Sie tun das aber nicht in Form emotionaler Meinungszitate von der einen oder der anderen Seite, wie es bei kontroversen Themen inzwischen leider auch in seriösen Medien zunehmend üblich ist.

Bemerkenswert ist an dieser Formulierung die Synthese. Während der erste Halbsatz die eine Position anerkennt, zieht der zweite Halbsatz eine sinnhafte Konsequenz daraus, die der anschließenden Analyse von Argumenten beider Seiten den Boden bereitet: Ja, Klimaschutz kostet viel Geld – und kein Klimaschutz ebenso.

Deeskalation durch Erzwingen der Sachebene

Wie aber bringt man eine hochemotionale Debatte auf den Teppich der Tatsachen zurück? So pietätlos es vor dem Hintergrund einer so furchtbaren Katastrophe wie den Feuern in Los Angeles auch wirken mag: Wenn es um Lösungen geht, ist es für alle Beteiligten heilsam, die Sachebene in einer Debatte zu erzwingen. Nur auf dieser Ebene kann über Lösungen diskutiert werden.

Bei vielen Gesellschaftsthemen, die in der Umsetzung immer auf Politik hinauslaufen, ist die Betrachtung der Kostenfrage dafür ein sinnvolles Vehikel. Genau diesen Blickwinkel haben die Autoren des FAS-Beitrags für ihre Analyse gewählt:

„Wie viele Menschen im Feuer starben, wie viele Tausend Häuser genau verbrannt sind, weiß noch niemand, aber zwei Dinge zeichnen sich ab: Diese Katastrophe wird weit mehr als hundert Milliarden Euro kosten, und die Erderwärmung der Erdatmosphäre ist eine ihrer Ursachen.“

Auch wenn der Übergang von den verheerenden Zerstörungen auf den Kostenaspekt krass wirkt, er sorgt für eine Diskussionsgrundlage. Nur hier kann substanziell argumentiert werden. Und genau darin liegt einer der Hauptgründe, warum so viele wichtige Debatten so haarsträubend irrational geführt werden: Wir reden zu viel über Befindlichkeiten und zu wenig über die beweisbaren Beobachtungen dahinter. Das Problem dabei ist die mangelnde Lösungsorientierung: Schuldzuweisungen, die sich aus Vorwürfen ableiten, zielen immer in die Vergangenheit; Maßnahmen, die sich aus Tatsachen ableiten, finden in der Zukunft statt.

Die Sachebene zu erzwingen ist ein Auftrag, der in der Demokratie dort liegt, wo die Verantwortung für Maßnahmen liegt – in der Politik. Wenn die sich stattdessen in Vorwürfen abarbeitet, sind die Medien als „vierte Gewalt“ im Staat dafür zuständig, sich damit kritisch auseinanderzusetzen. Bleibt zu hoffen, dass die Berichterstattung in Zukunft häufiger dazu zurückkehrt, nachdem klargeworden ist: die sozialen Medien werden diese Regulierungsfunktion nicht übernehmen können.

Vielleicht haben die Medien im Zeitalter der Polarisierung eine neue, alte Funktion, in die sie nun erneut hineinwachsen müssen: als ausgleichende Kraft, die öffentliche Debatten auf der Sachebene moderiert – anstatt wie zuletzt häufig nur ihre Emotionalität zu spiegeln.

Versöhnung liegt im Willen zur Lösung  

Die Autoren des FAS-Beitrags über die Feuer in Los Angeles erfüllen diesen Auftrag in einer Weise, der schon im Ansatz auf Synthese zielt. Anstatt die beiden Positionen gegeneinander auszuspielen, tragen sie Beweise für beide zusammen, indem sie die Kostenfrage differenziert betrachten:

„Vieles kostet mehr, als es nutzt. (…) Die Kosten eines Tempolimits lägen (…) weit über dem Schaden, der für den CO2-Ausstoß angenommen wird.“ 

„Doch es gibt auch viel billigere Maßnahmen. Im europäischen System der CO2-Zertifikate zum Beispiel sind Unternehmen derzeit in der Lage, ihre Emissionsrechte für rund 80 Euro zu verkaufen. Das heißt: Viele haben Wege gefunden, eine Tonne CO2 schon für 80 Euro einzusparen.“  

Was können wir aus dieser Mechanik öffentlicher Debatten in den Alltag mitnehmen? Das antike Prinzip der Synthese von These und Antithese mag sich sehr theoretisch anhören. Doch ich bin davon überzeugt, dass es uns bei sehr vielen der kleinen und großen Aushandlungsprozesse, die unseren Alltag bestimmen, dienlich sein kann.

Worunter unsere Beziehungen im Alltag zunehmend genauso kranken wie unsere Debatten auf gesellschaftlicher Ebene, ist die soziale Kälte, die sich zunehmend breitmacht. All die polarisierenden Themen, all die Streitfälle dividieren uns als Gemeinschaft Betroffener auseinander. Hinter der Sehnsucht nach vernünftigeren Debatten steckt nichts anderes als eine Sehnsucht nach Versöhnung, damit wir als Gesellschaft wieder zusammenfinden und funktionieren.

Das rhetorische Prinzip der Synthese ermöglicht genau das: im Gespräch zu bleiben, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Was eine sachliche Analyse für ein Thema tun kann, das kann ein respektvolles Gespräch für unser Miteinander leisten:

  • Wer die Gegenposition anerkennt, zeigt sich beziehungsbereit.
  • Wer die Sachebene in den Blick nimmt, zeigt sich gesprächsbereit.
  • Wer die Synthese sucht, zeigt sich lösungsbereit.

Je länger wir in der Polarisierung verharren, desto schwieriger wird der Weg zu einer Lösung. Das liegt nicht daran, dass unsere Positionen zunehmend unvereinbar wären; dieser Eindruck wird nur dadurch erweckt, dass statt Fakten zu oft Meinungen gegenübergestellt werden. Der einfache Kniff, der im zitierten Beitrag zu einer differenzierteren Betrachtungsweise geführt hat, kann uns bei allen heißen Themen der Gegenwart voranbringen: unterschiedliche Positionen gegenüberstellen, ohne so zu tun, als ob sie sich gegenseitig ausschließen würden.

In der Dialektik ist die Synthese das Gegenprogramm zur Polarisierung – und genau das ist die Medizin, die unsere Zukunftsdebatten brauchen.

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