Was der Professor nicht kennt …
Warum es so schwierig ist, neue Ideen zu kommunizieren – und wie es trotzdem gelingt
Menschen tun sich schwer mit dem Neuen, ganz besonders in Deutschland. Innovationen zu kommunizieren und zu argumentieren ist deshalb eine große rhetorische Hürde, an der leider viele gute Ideen scheitern. Ein Beispiel aus der Wissenschaft zeigt, warum Widerstände manchmal Relevanzindikatoren sind und wie man gute Ideen rhetorisch hartnäckig durchsetzt.
Reden bildet weiter – nicht nur das Publikum, sondern auch den Redner. Davon bin ich fest überzeugt. Die liebsten Einladungen als Vortragsredner sind mir jene, die mir neue Perspektiven erschließen. Wenn ich mit Menschen und Themen konfrontiert werde, denen ich nicht häufig begegne, lerne ich als Kommunikationstrainer am meisten dazu – auch für mein eigenes Thema.
Leider geht es uns im Alltag nicht immer so, oder? Wandel fällt uns schwer. Der Deutsche an sich hat es nicht so mit neuen Ideen, mit Innovation, mit Veränderung im Allgemeinen. Denn man muss sich darauf einlassen; man muss hören wollen, was noch niemand gesagt hat. Für mich ist das eine Voraussetzung für gute Kommunikation: bereit zu sein, als neuer Mensch aus einem Gespräch, einem Vortrag, einer Debatte hervorzugehen. Doch die Widerstände sind oft groß.
Viele gute Ideen, viele potenzielle Karrieren, viele wichtige Botschaften scheitern an dieser Stelle: an der rhetorischen Durchsetzung. Das liegt daran, dass die meisten Menschen zu leicht aufgeben, wenn sie auf große Widerstände treffen. Geschuldet ist das unserem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Harmonie auch: Die meisten Menschen fühlen sich nicht gut als Abweichler. Viele glauben auch, dass sie es sich nicht leisten können, aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen zu werden – dem familiären Umfeld, der Firma, dem Forschungsgebiet zum Beispiel. Und dann geben sie auf, und die Idee bleibt in der Schublade.
Was, wenn es eine gute, eine wichtige Innovation war? Was, wenn sie für immer verloren geht oder erst viel später das Licht der Welt erblickt? Was, wenn sie die Wissenschaft, unseren Blick auf die Welt, das Leben der Menschen verändern könnte?
Ideen dürfen nicht an Widerständen sterben, sondern nur an ihrer Widerlegung.
Wissenschaftler vs. Konsens
Vor kurzem hatte ich die Ehre und die Freude, einen Festvortrag bei den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) zu halten. Zuvor durfte ich einigen interessanten Vorträgen extrem kluger Menschen mit ganz anderen Expertisen als meiner eigenen lauschen.
Eine dieser Rednerinnen war die wissenschaftliche Leiterin des Instituts, Prof. Isabell M. Welpe. Sie hat den Lehrstuhl für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München inne. Prof. Welpes Vortrag drehte sich um Innovationen, genauer gesagt: Die schwierige Rolle von Innovation in der Wissenschaft. Denn obwohl neue Ideen zu den Kernaufgaben der Wissenschaft gehören, haben die Neudenker unter den Forschenden es nicht immer leicht.
Um diese These zu untermauern, erzählte Prof. Welpe die eindrucksvolle Geschichte von Prof. Daniel Shechtman – dem Entdecker der Quasikristalle. Das sind Moleküle, die auf atomarer Ebene Mosaike mit Mustern bilden, die sich niemals wiederholen. Ihre Entdeckung durch den israelischen Forscher veränderte 1982 das Verständnis von Feststoffen und ihrer Zusammensetzung und führte damit zu einem Paradigmenwechsel in der Chemie. Dafür wurde Shechtman mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet – allerdings nicht 1982, sondern erst 2011.[1]
Dazwischen lagen fast zwei Jahrzehnte voller Zweifel und Anfechtungen. Zum Zeitpunkt seiner Entdeckung forschte Shechtman gerade im Zuge eines Sabbaticals an der Johns Hopkins University in Baltimore. Umgehend berichtete er seinen Kollegen dort von dem seltsamen Kristallaufbau, der zuvor noch nie beobachtet worden war; die aperiodisch, also unregelmäßig gebrochene Struktur wies eine vergleichbare Symmetrie auf wie eine bestimmte Art kunstvoller Ornamente arabischer Baumeister. Zunächst selbst ungläubig, hatte er seine Versuchsanordnung und seinen Daten bereits gründlich überprüft und keinerlei Fehler feststellen können: Was er vor sich sah, war real.[2]
Doch seine Kollegen waren anderer Meinung. Sie waren von einem Fehler überzeugt und weigerten sich, Shechtmans Befund auch nur zu überprüfen. Die Kritik an ihm ging so weit, dass der Leiter seiner Forschungsgruppe ihm nahelegte, diese zu verlassen.[3]
Doch der Chemiker ließ sich nicht beirren. Zwei Jahre später konnte er seine Beobachtung bestätigen und publizierte einen Artikel, der in Fachkreisen einschlug wie eine Bombe.[4] Er etablierte den Begriff der Quasikristalle.
Selbst damit aber kam die Kritik an Shechtman und seiner Entdeckung nicht zum Schweigen. Zu ihrer prominentesten Stimme wurde der zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling, der Shechtman den vielzitierten Vorwurf machte: „Es gibt keine Quasikristalle, nur Quasi-Wissenschaftler.“[5]
Shechtman gab nicht auf. Ein Jahrzehnt nach seiner Entdeckung wurde die offizielle Definition von Kristallen erweitert, um die Existenz von Quasikristallen einzuschließen. Erst danach nahm die Forschung zu ihnen ernsthaft Fahrt auf. Bis zum Nobelpreis, vergingen weitere neun Jahre.
Dan Shechtman, heute 83 Jahre alt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Nachwuchsforscher zur Beharrlichkeit zu ermutigen und an ihre Ideen zu glauben. 2014 kandidierte er sogar für das Amt des israelischen Staatspräsidenten, um das staatliche Bildungssystem zu reformieren. Er scheiterte jedoch an einer Mehrheit im Knesset, das in Israel den Präsidenten wählt.[6]
Widerstände als Relevanzindikatoren
Wenn das Beispiel von Prof. Shechtman eines zeigt, dann die Bedeutung von Resilienz und Hartnäckigkeit beim Argumentieren von Ideen. Die Geschichte von Daniel Shechtman zeigt: Oft sind es nicht die Fakten, die Beweise, die Daten, an denen die Kommunikation einer neuen Idee, einer Innovation, eines Wandels scheitert. Es ist vielmehr die mangelnde Widerstandstoleranz innerhalb der Diskussion.
Was wäre geschehen, wenn Dan Shechtman weniger robust verpackt gewesen wäre und weniger resolut an seine Entdeckung geglaubt hätte? Mit dem Ausschluss aus seiner Forschungsgemeinschaft bedroht und von einer der größten Ikonen seines Fachs geächtet, hätte er womöglich klein beigegeben und darauf verzichtet, weiter an seiner Entdeckung zu forschen. Wieviel Zeit wäre vergangen, bis ein anderer diesen Zweig der Chemie revolutioniert und die bahnbrechenden Möglichkeiten dieser Entdeckung in die Wege geleitet hätte?
Nun möchte ich Sie keineswegs dazu auffordern, Widerstände grundsätzlich in den Wind zu schlagen. Manche Innovation hat aus gutem Grund noch niemand verfolgt. Doch wenn eine gute Idee Hand und Fuß hat und tatsächlich an der Rhetorik scheitert, dann ist das in meinen Augen eine Tragödie. Und ich fürchte, es ist eine, die sich regelmäßig ereignet. So eindrucksvoll die Geschichte der Quasikristalle ist: Sie ist nicht die einzige verschmähte Revolution in der Geschichte der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaftsentwicklung.
Widerstände gegen Neues sind normal – und wir tun gut daran, sie rhetorisch einzuplanen. Denn letztlich sind Widerstände gegen etwas Unwiderlegbares keine Gegenargumente, sondern Systemreflexe: Was nicht in die etablierten Routinen passt, wird von jeder Gemeinschaft, von jeder Organisationsform erst einmal abgestoßen. Das kann einen neue Managementtheorie genauso sein wie eine neue Kunstströmung oder ein neues Ablagesystem auf dem Büroserver.
Die Tatsache, dass es gegen eine Idee, eine Innovation, ein Wandelvorhaben Widerstände gibt, ist letztlich kein Ausschlusskriterium, sondern ganz im Gegenteil ein Relevanzargument: Offensichtlich handelt es sich um eine Veränderung mit großem Wirkpotenzial. Solange sie in der Substanz nicht widerlegbar ist, sind die Zweifel kein Grund, aufzugeben, sondern im Gegenteil: ein Sprungbrett für Ihre Argumentation. Kein Argument wiegt stärker als eine substanziell widerlegte Anfechtung. Wenn – wie bei Shechtmans Quasikristallen – Ihre Daten stimmen, sollten Widerstände Sie nicht ausbremsen, sondern anfeuern.
Widerstände sind Argumentationsvorlagen
Bleibt natürlich die große Frage: Wie mit den Widerständen umgehen, die es bis zur Durchsetzung Ihrer Idee zu überwinden gilt? Hier gilt es zunächst eine Unterscheidung zu treffen: Ist der Widerstand aus rhetorischer Sicht argumentativ, also sachlich, oder affektiv bzw. emotional?
Umgang mit argumentativen Widerständen
Ist er argumentativ, gilt es ihn zu überprüfen. Wenn Ihre Beweisführung solide ist, haben Sie nichts zu befürchten: Wie im Falle der Quasikristalle von Shechtman wird der Erfolg Ihnen Recht geben – allerdings nur, wenn Sie bis dahin nicht aufgeben und sich nicht von anhaltenden Widerständen zermürben lassen.
Handelt es sich bei Ihrer Innovation um eine Idee, die sich nicht mit harten Fakten und unwiderlegbaren Daten untermauern lässt, hängt alles von Ihrem Glauben an die Durchsetzbarkeit ab und Ihrem rhetorischen Durchsetzungsvermögen ab.
In beiden Fällen gilt: Praktizieren Sie das Prinzip Schallplatte. Von unseren Kindern können wir lernen, wie das geht: Nach der zehnten Wiederholung geht auch dem resolutesten Elternteil irgendwann die Puste aus. Tatsächlich ist erwiesen, dass die hartnäckige Wiederholung einer Aussage deren Glaubwürdigkeit stärkt; ein Befund, dem leider auch Populisten und Marketingstrategen manchen Erfolg verdanken.
Alles, was Sie schaffen müssen, ist, berechtigten Zweifel am Zweifel zu sähen: Wie Shechtman müssen Sie es an den Punkt bringen, an dem man sich ernsthaft mit Ihrer Idee auseinandersetzt.
Rhetorisch gilt es deshalb vor allem resilient und hartnäckig zu sein und sich nicht unnötig in eine schwache Position drängen zu lassen. Zementieren Sie Ihre Argumente unermüdlich und fokussieren Sie sich dabei immer auf das eine oder die wenigen stärksten, anstatt immer neue aus dem Hut zu ziehen. In diese Versuchung gerät man angesichts von Widerständen leicht, tut sich damit in der Regel jedoch keinen Gefallen. Denn je mehr Argumente Sie ins Feld führen, desto einfach wird es für Zweifler, sich an den schwächeren festzubeißen. Rhetorisch stark bleiben heißt, sich auf seine argumentative Stärke zu berufen, also: auf Kurs zu bleiben.
Viele Widerstände lassen sich mit der „Gerade, weil“-Technik entkräften: „Gerade weil wir das noch nicht probiert haben, ist es den Versuch wert“; „gerade weil das alte System so starr ist, dass wir nicht im Geringsten davon abweichen dürfen, könnte ein flexibleres uns die Arbeit erleichtern“; „gerade weil die gesamte Branche an derselben Technologie festhält, könnte ein neuer Ansatz den Durchbruch bringen“.
Umgang mit affektiven Widerständen
Ist der Widerstand affektiv, gelten im Grunde dieselben Empfehlungen wie zuvor – mit dem Unterschied, dass es noch einen Schritt vorzuschalten gilt: Bevor Sie Ihre sachlichen Argumente vortragen können, gilt es die Diskussion auf die Sachebene zurückzuholen.
Anfechtungen wie: „Dieser Unsinn kann doch nicht dein Ernst sein!“ oder „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ lassen sich am effektivsten mit einer einfachen Fokusfrage kontern: „Worauf beziehst du dich?“
Auf diese Frage muss das Gegenüber mit einer sachlichen Beobachtung oder Tatsachenbehauptung reagieren – und damit können Sie argumentativ arbeiten. „Das neue Ablagesystem einzuführen, dauert zu lange!“ – „Den Plan für eine interne Schulung habe ich bereits ausgearbeitet“, oder: „Nach meinen Berechnungen sparen wir bereits innerhalb des ersten Jahres mehr Zeit ein, als die Schulung aller betreffenden Mitarbeiter kostet.“
Affektive Widerstände verfolgen das Ziel, Ideen auszubremsen, bevor sie substanziell diskutiert werden können – sind im Grunde als Manipulationsversuche. Deshalb sind sie meist leichter zu widerlegen, als wir glauben. Weil sie uns emotional treffen, lassen wir uns nur leichter davon einschüchtern und aus der Bahn werfen. Sind sie einmal überwunden, wird es leichter, denn: Eine gute Idee ist auf der Sachebene schwer zu stürzen.
Wenn Ihre Idee Substanz hat und Sie selbst daran glauben: Lassen Sie sich nicht beirren und bleiben Sie dran. Alles andere ist Rhetorik – und die kann man üben.
Auf einen Blick: Tipps für die Durchsetzung neuer Ideen und Innovationen
- Viele Widerstände sind keine Stoppschilder, sondern Relevanzindikatoren; betrachten Sie sie als argumentative Sprungbretter.
- Praktizieren Sie Hartnäckigkeit: Wiederholen Sie Ihre stärksten Argumente unermüdlich nach dem Prinzip Schallplatte.
- Unterscheiden Sie zwischen argumentativen und affektiven Widerständen.
- Hebeln Sie affektive Widerstände aus, indem Sie die Sachebene erzwingen: „Worauf beziehst du dich?“
- Nutzen Sie beim Kontern die „Gerade, weil“-Strategie.
Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus
[1] Chemienobelpreis für den Entdecker von Quasikristallen, ZEIT online, 05.10.2011, https://www.zeit.de/wissen/2011-10/chemienobelpreis-2011/komplettansicht
[2] Manfred Lindinger: Gegen den Strom – Dan Shechtman zum Achtzigsten, FAZ online, 24.01.2021, https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/der-materialforscher-dan-shechtman-wird-achtzig-17159482.html
[3] Ebd.
[4] Daniel Shechtman et al.: Metallic Phase with Long-Range Orientational Order an No Translational Symmetry, Phys. Rev. Lett. 53, 1951, 12.11.1984, https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.53.1951
[5] Hartmut Wewetzer: Revolution in der Kristallwelt, Der Tagesspiegel online, 05.10.2011,https://www.tagesspiegel.de/wissen/revolution-in-der-kristallwelt-2004760.html
[6] Manfred Lindinger: Gegen den Strom – Dan Shechtman zum Achtzigsten, FAZ online, 24.01.2021, https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/der-materialforscher-dan-shechtman-wird-achtzig-17159482.html