Oprah Winfreys Rede bei den Golden Globes 2018

Die Me-too-Debatte aus Oprah’s Blickwinkel

Zugegeben: Im Vergleich zu geschätzten 99 Prozent aller Menschen, die an jedem beliebigen Tag irgendwo auf der Welt eine Rede halten, hat eine Oprah Winfrey es vergleichsweise leicht, die ersten Sekunden zu überstehen. Als sie auf die Bühne des Beverly Hilton Hotels in Los Angeles tritt, wird sie zunächst vom Applaus der versammelten Hollywood-Elite überrollt.

Schon hier zeigt sich eine Qualität, die nicht selbstverständlich ist: Nicht jeder Redner hat die Souveränität, entspannt mit dem Jubel des Publikums umzugehen. Oprah Winfrey nimmt sich Zeit. Sie lässt das Publikum applaudieren, genießt den Moment und sammelt sich für ihre ersten Worte. Schon jetzt wirkt sie – und hat noch kein Wort gesagt. Die Pause kann ein kraftvolles Werkzeug sein: Ein guter Redner nimmt sich Zeit.

Erst nach etwa einer Minute hebt sie zu einer fantastischen Ansprache an, die Millionen Menschen bewegt hat. Nicht nur weil sie Oprah Winfrey ist, hängt das Publikum an ihren Lippen – sondern auch, weil sie als Rednerin in den folgenden acht Minuten vieles richtig macht und viele Werkzeuge der Rhetorik geschickt einsetzt, an denen wir uns ein Beispiel nehmen können.

Oprah Winfreys Einstieg ist ein Klassiker: Sie erzählt eine persönliche Geschichte.

In 1964 I was a little girl sitting on the linoleum floor of my mother’s house in Milwaukee watching Anne Bancroft present the Oscar for Best Actor at the 36th Academy Awards.  She opened the envelope, and said five words that literally made history:  “The winner is Sidney Poitier.”  Up to the stage came the most elegant man I had ever seen.  I remember his tie was white and, of course, his skin was black.  And I’d never seen a black man being celebrated like that.  And I have tried many, many, many times to explain what a moment like that means to a little girl, a kid watching from the cheap seats as my mom came through the door, bone tired from cleaning other people’s houses.  

Schon dieses erste Element ihres Vortrags hat direkten Bezug zu dem Thema, das sie für ihre Rede gewählt hat: Gleichberechtigung. Hier und auch darüber hinaus hält sich die Rednerin an einen wichtigen Grundsatz für wirkungsvolles Reden: Jeder Satz und jedes Wort soll auf die Kernbotschaft der Rede einzahlen.

Ohne Umschweife spannt sie ausgehend von dieser Geschichte den Bogen zum Publikum: Mit einladender Geste und einem kurzen Blick in die Kamera überträgt sie die Botschaft von sich auf alle kleinen Mädchen vor dem Fernseher, die heute in derselben Lage sein mögen wie sie damals:

In 1982 Sidney received the Cecil B. deMille Award right here at the Golden Globes, and it is not lost on me that at this moment, there are some little girls watching as I become the first black woman to be given this same award.

Dieser Satz stellt Relevanz her. Er verbindet die eigentlich personengebundene Ehrung, die ein Preis darstellt, mit dem öffentlichen Interesse der Zuhörer, die Zeuge der Rede werden. Die Rednerin macht sich selbst zum personifizierten Beispiel der Gleichberechtigung. Das ist nicht nur rhetorisch geschickt inszeniert; es ist auch ein starkes positives Gegenbeispiel in einer Debatte, die häufig von Negativbeispielen, Ressentiments und Anschuldigungen geprägt ist.

Nachdem sie den Rahmen auf diese Weise gesetzt hat, bindet sie so kurz wie möglich ein, was für die Zuschauer überall auf der Welt wenig spannend ist, für das Publikum vor Ort aber unverzichtbar: die Dankesworte, die zur Dankesrede bei einer Preisverleihung nun einmal dazugehören. Doch auch hier verzichtet sie nicht auf eine politische Botschaft über eine freie Gesellschaft. Die ist schließlich die Voraussetzung für Gleichberechtigung:

I’d like to thank the Hollywood Foreign Press Association because we all know that the press is under siege these days, but we also know that it is the insatiable dedication to uncovering the absolute truth that keeps us from turning a blind eye to corruption and to injustice, to tyrants and victims and secrets and lies.  I want to say that I value the press more than ever before as we try to navigate these complicated times […]

Diesen Exkurs nutzt sie als Überleitung zu ihrer Kernbotschaft: Die eigene Wahrheit auszusprechen ist das mächtigste Werkzeug, das ein Mensch hat.

What I know for sure is that speaking your truth is the most powerful tool we all have.  And I’m especially proud and inspired by all the women who have felt strong enough and empowered enough to speak up and share their personal stories.  

Damit hat Oprah Winfrey sich für jeden erkennbar in den Kontext der Debatte gestellt, an der sie sich mit dieser Rede beteiligt: die Me-too-Debatte über den sexuellen Missbrauch an Frauen, die seit Monaten in den sozialen Netzwerken und Medien kontrovers geführt wird. Und wieder erzeugt sie Relevanz nach demselben Muster wie zuvor, indem sie ihre These sofort in die Breite des öffentlichen Interesses überträgt und  eine Verbindung zu ihren Zuhörern herstellt:

Each of us in this room are celebrated because of the stories that we tell.  And this year we became the story.  But it’s not just a story affecting the entertainment industry.  It’s one that transcends any culture, geography, race, religion, politics, or workplace.  

Um der unüberschaubaren Zahl von Opfern ein Gesicht zu geben und die Botschaft damit zu personifizieren, erzählt die Rednerin erneut eine Geschichte: Die von Recy Taylor, der entführten und vergewaltigten Frau, für welche die berühmte Rosa Parks so leidenschaftlich um Gerechtigkeit kämpfte – und die nur zehn Tage vor diesem Abend im Alter von 98 Jahren gestorben war.

Während sie diese Geschichte wiedergibt wird besonders deutlich, dass Oprah Winfrey nicht nur den Umgang mit Inhalten beherrscht – auch ihre Vortragsweise ist beispielhaft. Vor dem Namen „Rosa Parks“ setzt sie eine Wirkpause, wie auch an vielen anderen entscheidenden Stellen ihrer Rede. Dieser rhetorische Kniff erhöht die Spannung und hilft Rednern, wichtige Punkte besonders zu betonen. Auch ihre Modulation über die gesamte Rede hinweg setzt die wichtigen Wörter und Sätze hervorragend in Szene: Sie spielt mit den Höhen und Tiefen genauso routiniert wie mit der Lautstärke. Den zentralen Satz über die Männer, die Frauen unterdrücken und missbrauchen, spricht sie dreimal aus und moduliert ihn jedes Mal anders, um ihn besonders zu betonen: erst tiefernst, dann kämpferisch-jubilierend, dann wie eine schlichte Feststellung: „Their time is up.“ – Ihre Zeit ist vorbei. Es ist diese kleine rhetorische Feinheit, diese schlichte, aber geschickt getimte und vorgetragene rhetorische Technik, die ihr zu spontanen Standing Ovations verhilft. Und wieder ist sie als Vortragende souverän und kontrolliert genug, dieser Reaktion des Publikums Raum zu geben, bevor sie weiterspricht.

Am Schluss ihrer Rede tut Oprah Winfrey schließlich etwas, das in dieser Debatte, die aus naheliegenden Gründen hochemotional geführt wird, bisher nur am Rande geschehen ist: Sie, als Frau, die sich mit den Opfern identifiziert, bezieht die Männer ein. Sie reicht ihnen die Hand, indem sie ihnen einen positiven, konstruktiven Handlungsimpuls widmet und den Männern ihren Respekt ausspricht, die an der Seite der Frauen den Kampf um Gleichberechtigung kämpfen. Mit Bezug auf ihren zuvor gesetzten Anker „Wahrheit“ formuliert sie folgende Botschaft der Hoffnung:

„[…] it’s here with every woman who chooses to say, “Me too” and every man, every man who chooses to listen.  In my career what I’ve always tried my best to do, whether on television or through film, is to say something about how men and women really behave, to say how we experience shame, how we love and how we rage, how we fail, how we retreat, persevere, and how we overcome.  […] So I want all the girls watching here now to know that a new day is on the horizon. And when that new day finally dawns, it will be because of a lot of magnificent women […] and some pretty phenomenal men fighting hard to make sure that they become the leaders who take us to the time when nobody ever has to say, “Me too” again.”

Oprah Winfrey beendet ihre Rede, ihren Debattenbeitrag mit der Hoffnung, dass die Debatte in Zukunft überflüssig sein wird. Damit macht sie deutlich: Wir sollten nicht kämpfen um zu kämpfen, nicht widersprechen um zu widersprechen, nicht reden um zu reden – wir sollten unsere Worte nutzen, um ein Ziel zu erreichen. Und das ist so ziemlich die prägnanteste Definition von gelingender Kommunikation, die man formulieren kann.

Fassen wir noch einmal zusammen, welche rhetorischen Werkzeuge Oprah Winfrey zu diesem weltweit beachteten Redeerfolg verholfen haben:

  • Am Anfang nimmt sie sich Zeit und sammelt sich, bevor sie spricht.
  • Sie gibt den Reaktionen des Publikums Raum
  • Jede Geschichte, jedes Argument und jeder Satz zahlt auf die Kernbotschaft ihrer Rede ein.
  • Sie nutzt prägnantes, emotionales Storytelling.
  • Sie moduliert und setzt Wirkpausen, um wichtige Aussagen und Wörter besonders zu betonen.
  • Sie personifiziert ihre Thesen durch ihr eigenes Beispiel oder die anderer Menschen.
  • Sie stellt sich selbst in den Kontext der Debatte, an der sie teilnimmt.
  • Sie stellt Relevanz her, indem sie immer einen Bogen von ihren Inhalten zum öffentlichen Interesse spannt und eine direkte Verbindung zu ihren Zuhörern herstellt.
  • Sie bezieht die andere Seite der Debatte ein.
  • Sie formuliert eine positive, konstruktive Schlussbotschaft.

Die gesamte Rede von Oprah Winfrey bei den Golden Globes 2018 können Sie hier ansehen. Den Volltext finden Sie hier.

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