Wer nicht fragt, bleibt dumm

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Wie festgefahrene Debatten wieder in Gang kommen

In vielen öffentlichen Debatten herrscht ein erschreckender Mangel an Fragen. Stattdessen gewöhnen wir uns zunehmend an eine Unkultur der verhärteten Fronten: konfrontative Polarisierung statt aufrichtigem Interesse. Und dann wundern wir uns, wenn wichtige Themen festfahren, statt zu einer dringend benötigten Lösung zu führen. Wer einige grundlegende Fragetechniken kennt, führt bessere und befriedigendere Gespräche.   

Ich habe eine Frage, das Fragen betreffend: Was ist bloß mit unseren Diskursen los? Die Gesprächsrhetorik – und wenn wir ehrlich sind, auch der gesunde Menschenverstand und ein Mindestmaß an Lebenserfahrung – lehrt, dass man Fragen stellt, wenn man etwas nicht versteht. Der Sesamstraßen-Song war da ziemlich unmissverständlich, und die Sesamstraße lügt nie: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber ich mag dumm keine Gespräche führen.

Doch genau das tun wir gerade denn, wenn es um die Wurst geht, oder das Klima: Wir führen Gespräche bewusst unterinformiert, um in der Komfortzone unserer vorgefassten Meinung verharren zu können. So führen Gespräch nirgendwo hin, außer in den offenen Konflikt oder in den Gesprächsabbruch. In einer gesellschaftlichen Gemengelage, in der es absolut existenzielle Zukunftsfragen zu klären gilt, können wir uns diesen Polarisierungs-Exzess nicht leisten. Wir müssen miteinander reden können, wenn wir unseren Kindern eine demokratische Gesellschaft auf liberalem Fundament übergeben wollen, damit sie sich ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit darauf bauen können.

Wir sind dabei, das gewaltig zu verbocken. Unsere Debattenkultur braucht ein Frage-Upgrade. Dringend. Wenn wir das Fragen verlernen, verlernen wir im nächsten Schritt das Zusammenleben. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen – wenn Sie mich fragen.

Methodisches Fragen als Schlüssel zu klaren Debatten

Aus rhetorischer Sicht sollten Themen, zu denen es viele kontroverse Meinungen gibt, in erster Linie anhand von Fragen bearbeitet werden. Nur so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit oder manchmal auch nur eine Chance auf Verständigung.

Statt vieler Fragen aber sehe und höre ich weit überwiegend andere Satzarten, und zwar in Bundestags- genauso wie in Stammtischdebatten: Aussagen, oft sehr nachdrückliche, die an ihrem Ende nichts anderes als einen Punkt zulassen. Ich höre Imperative und Ausrufe, deren Vortragsweise jeden Zweifel im Keim zu ersticken geeignet sind. Und wenn ich tatsächlich Fragen höre, dann sind sie oft rhetorischer Natur: An den Absender selbst gerichtet, als Vorlage für sein eigenes Argument – nicht als Angebot zum Kennen- und Dazulernen.

Wie es richtig geht, können wir ausgerechnet von der Kommunikation mit denen lernen, um deren Zukunft es in unseren aktuellen Debatten geht: unseren Kindern. Die Kommunikation mit ihnen ist außerdem das, was unsere Debatten oft eben nicht mehr sind: interessiert, aufrichtig und liebevoll. Kindern stellen wir Fragen, weil wir wirklich wissen wollen, wie es ihnen geht und was sie gerade brauchen.

Damit ist die Haltungsebene im Grunde bereits geklärt: Eine respektvolle Debatte ist liebevoll. Statt Elternliebe fußt sie auf Nächstenliebe beziehungsweise auf horizontalem Respekt: der humanistischen Überzeugung, dass alle Menschen gleichwertig sind. Deshalb verdienen sie es, mit ihren Überzeugungen gleichermaßen gehört und geachtet zu werden. Wer diese Haltung einnimmt, wird sich automatisch für andere interessieren und ihre Ansichten ergründen wollen.

Bleibt noch die Methodenebene: Wie fragen, ohne vor den Kopf zu stoßen? Welche Art zu fragen ist in welcher Situation nicht nur zielführend, sondern auch respektvoll – und somit geeignet, das Gespräch zu fördern, statt zu eskalieren? Antworten liefert eine Betrachtung verschiedener Fragetechniken, wo wir mental automatisch von jeder Konfrontationstendenz Abstand nehmen.

  1. Fragetechnik: Die Ebenen einer Aussage erfragen

Aus dem, was andere sagen – und mag es uns noch so sehr provozieren – lassen sich fast immer zielgerichtete Fragen ableiten, die zur Klärung beitragen. Halten wir uns dabei zur Veranschaulichung an eine Äußerung, der Sie selbst höchstwahrscheinlich schon mal begegnet sind:

„Das mit dem Klimawandel ist doch total übertrieben!“

Die eigentliche Absicht einer Aussage entspricht nicht unbedingt dem, was ein emotionalisierter Gesprächspartner mit seinen Worten zum Ausdruck bringt. Ein Dialog transportiert ja nicht nur Informationen. Er kann auch eine Mitteilung aussenden, die gar nicht mitgesprochen wird („Ich fühle mich gestört, weil ich mein Verhalten ändern soll“). Er kann die Beziehung stärken oder schwächen („Bist du auf meiner Seite oder auf der anderen?“). Und er kann zwischen den Zeilen auch eine Aufforderung enthalten („Gib mir Recht, damit ich mich besser fühle“).

Weil es verschiedene Bedeutungsebenen gibt, enthält jede Äußerung auch mehrere potenzielle Fehlerquellen für das Hörverständnis: Die Senderin oder der Sender möchte etwas Bestimmtes ausdrücken, doch die Empfängerin oder der Empfänger hört es möglicherweise ganz anders. In unserem Beispiel kann es schnell passieren, dass man dem Gegenüber etwas unterstellt – zum Beispiel, dass es unter die Verschwörungstheoretiker gegangen ist. Dann entgegnet man vielleicht etwas wie: „Mit Fakten hast du es wohl nicht so?“

Schon ist die Chance auf einen tiefergehenden Austausch vertan. Vielleicht ist die andere Person aber gar nicht faktenresistent, sondern einfach nur ausgelaugt von endlosen Streitgesprächen mit denen eigenen Kindern über deren Vorstellungen von umweltbewusster Haushaltsführung. Wenn man das wüsste, könnte man im Gespräch darauf eingehen und – zum Beispiel mit gezielt gestreuten Fakten – um Verständnis für die Perspektive der Kinder werben.

Mit einer klärenden Frage können Sie die unsichtbaren Botschaften einer Aussage sichtbar machen und sich außerdem Klarheit darüber verschaffen, womit Sie Ihre Gesprächspartnerin oder Ihren Gesprächspartner in dieser Situation unterstützen können. Folgende klärenden Fragen könnten Sie zum Beispiel an Ihr Gegenüber richten, um die verschiedenen Ebenen seiner Äußerung zu erhellen:

„Was genau findest du denn übertrieben?“

„Bist du genervt von etwas, das du gehört hast?“

„Über welches Thema würdest du denn lieber reden?“

Manchmal kann es auch sinnvoll sein, dem Gegenüber zu spiegeln, welche Botschaft bei Ihnen angekommen ist, bevor Sie nachfragen. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Person verschiedene Signale sendet, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen.

Wichtig ist es beim klärenden Fragen auch, die eigenen ‚Hörgewohnheiten‘ zu kennen und zu berücksichtigen. Manche Menschen nehmen den Sachgehalt einer Aussage stärker wahr, während andere ausgeprägter auf der Beziehungsebene „hören“. Die jeweils andere Ebene blenden wir möglicherweise aus. Wer das von sich weiß, kann gezielter nachfragen.

  1. Fragetechnik: Begriffliche Hintergründe klären

Eine sehr erhellende Fragetechnik bei Unklarheiten kann auch die Klärung von Begrifflichkeiten sein, die andere verwenden. Viele Wörter, die man gerade im Affekt oder bei einem „heißen“ Thema verwendet, sind stark von der individuellen Interpretation, von Sprechgewohnheiten oder auch vom sozialen Umfeld und den dort vorherrschenden Meinungen abhängig. Deshalb kann es durchaus passieren, dass Sie jemanden gründlich missverstehen, weil sie oder er einen bestimmten Begriff auf unorthodoxe Weise oder auch mal völlig falsch einsetzt.

In unserem Beispiel ist „übertrieben“ das Schlüsselwort. Möglicherweise glaubt Ihr Gegenüber tatsächlich nicht an das Konzept des Klimawandels. Möglicherweise stört es sich aber auch nur an der Art, wie andere darüber reden.  Vielleicht ist dieser Mensch aber auch von der Politik im Großen und Ganzen enttäuscht und hat deshalb Vorbehalte gegen jede Debatte mit politischem Hintergrund. Es gibt alle möglichen Optionen, was „übertrieben“ in diesem Satz bedeuten kann. Solange Sie das nicht eingegrenzt haben, können Sie unmöglich angemessen reagieren.

Was genau gemeint ist, finden Sie ganz einfach mit einer begrifflichen Nachfrage heraus:

„Was meinst du denn mit übertrieben?“

oder, wenn Sie schon eine ungefähre Ahnung haben:

            „Meinst du, dass die Diskussion über das Thema anstrengend ist?“

Zentrale Begriffe einer Aussage zu hinterfragen kann viele Missverständnisse verhindern und sensibilisiert Ihr Kind zugleich dafür, dass Worte unterschiedliche Bedeutungen haben können.

  1. Fragetechnik: Systemisches Fragen

Systemisches Fragen dient dazu, mehr über das Denken, Wollen und Fühlen von Personen herauszufinden. Die Wurzeln des systemischen Ansatzes liegen in der Zeit, als die Welt dank wissenschaftlicher Erkenntnisse im frühen 20. Jahrhundert erstmals als System wahrgenommen wurde. Seitdem werden viele Phänomene nicht mehr isoliert betrachtet, sondern immer im Kontext der sie umgebenden Welt. Zu diesen Phänomenen, die nun stärker im Zusammenhang gesehen werden, gehört auch das Verhalten von Menschen – einschließlich ihrer Kommunikation.

Wenn wir systemisch fragen, versuchen wir zu ergründen, wie verschiedene Einflüsse sich auf die Äußerungen von Menschen auswirken. Zum Beispiel verändert Ihr persönliches Umfeld die Art, wie Sie über Impfungen denken und reden. Wenn Sie Mediziner in Ihrem Umfeld haben, denken Sie wahrscheinlich anders über dieses Thema nach als jemand, der nicht viel mit Schulmedizin am Hut hat. Wenn Sie persönlichen Kontakt mit Geflüchteten haben, werden Sie anders über dieses Thema nachdenken als jemand, der noch nie direkte Berührung mit diesen Menschen hatte.

Mit Hilfe von systemischen Fragen können Sie herauszufinden, inwiefern sich solche äußeren Faktoren auf das auswirken, was Menschen sagen. Überblicksartig lassen sich beim systemischen Fragen fünf Fragearten unterscheiden:

Fragearten beim systemischen Fragen

  1. Hypothetische Fragen führen eine ‚Als-ob‘-Fiktion ein. Sie zielen auf Werte und Überzeugungen des Befragten und ermöglichen einen anderen Blickwinkel auf das Thema:

„Stell dir vor, du könntest den führenden Klimaforschern jede Frage stellen, die du willst, und sie müssten ehrlich antworten. Was würdest du fragen?“

  1. Zirkuläre Fragen führen die Perspektive einer anderen Person ein. Sie veranlassen die gefragte Person, sich in die Sichtweise anderer hineinzuversetzen und aus dem Kreislauf der eigenen Gedanken auszubrechen:

„Wie würden deine Kinder reagieren, wenn sie uns gerade zuhören würden?“

  1. Internalisierende Fragen führen die oder den Befragten zurück in eine Position der Handlungsfähigkeit. Sie können verborgene Ressourcen aktivieren und mögliche Handlungsoptionen aufdecken:

„Stell dir vor, wir hätten gleichwertige Lösungen für alles, worauf wir wegen dem Klimawandel verzichten müssen. Würdest du dich dann für die klimafreundliche Variante entscheiden?“

  1. Rekontextualisierende Fragen gehen sprachlich bedingten Veränderungen in der Kommunikation auf den Grund. Sie können die Ursachen für sprachliche Muster aufdecken und unklare Zuschreibungen auflösen:

„Was genau meinst du mit ‚übertrieben‘?“          

  1. Skalierungsfragen führen Unterschiede ein, um differenziertere Informationen zu bekommen. Sie können abstrakte und unscharf formulierte Aussagen konkret und verständlich machen:

„Wie übertrieben findest du die Bedrohung durch den Klimawandel auf einer Skala von eins bis zehn?“

Das systemische Fragen ist eine sehr komplexe Methode, die unter anderem in der Psychotherapie eingesetzt wird. Im privaten Alltag wird man es eher selten systematisch verwenden, weil es seine volle Wirkung erst nach intensiver Beschäftigung und Übung entfaltet. Zudem muss man sich relativ viel Zeit dafür nehmen, systemische Zusammenhänge umfassend zu ergründen. Doch wenn man den wissenschaftlichen Anspruch außer Acht lässt, können auch einzelne systemische Fragen sehr nützlich sein. Sie können für mehr Klarheit sorgen, indem sie einen Bezug zum großen Ganzen herstellen. Das ist ein effektiver Weg, sich besser in die Sichtweise anderer hineinzudenken.

Zusammenfassung: 3 Impulse

Die richtigen Fragen zu stellen kann in schwierigen alltäglichen Gesprächen und in festgefahrenen Debatten einen Durchbruch bringen. Hier noch einmal drei besonders hilfreiche, klärende Fragetechniken im Überblick:

  1. Die Ebenen einer Aussage hinterfragen: Ergründen Sie bei irritierenden oder vieldeutigen Aussagen, was Ihre Gesprächspartnerin oder Ihr Gesprächspartner tatsächlich ausdrücken will, indem Sie die tatsächliche Bedeutung des Gesagten hinterfragen.
  2. Begriffliche Hintergründe klären: Hinterfragen Sie die beabsichtigte Bedeutung von Schlüsselworten, um auszuschließen, dass Sie aufgrund einer Fehlinterpretation eine bestimmte Haltung zu unterstellen.
  3. Systemisches Fragen: Mit systemischen Fragen lässt sich herausfinden, welche äußeren Faktoren auf die Argumentation von Anderen Einfluss nehmen und berücksichtigt werden sollten.

 

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