Rhetorische Zeitlupe: Lauter gute Nachrichten

Lauter gute Nachrichten

Unsere besten Momente in der Kommunikation erleben wir in der Regel dann, wenn sie nicht leicht ist. Das ist nicht gerade eine Wellness-Botschaft, das ist mir bewusst. Darum stelle ich diese Erkenntnis den folgenden Überlegungen voran: Ich möchte nicht als naiver Optimist und Schönredner dastehen, der nicht wahrhaben will, wie schlimm es um uns steht. Ich will es mir nicht leicht machen, indem ich irgendeine Krise leugne. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass wir es uns mit unserer Fixierung auf all die schlechten Nachrichten gerade zu leicht machen.

Darin sehe ich den Grund, warum viele von uns gerade so wenige gute Gesprächsmomente erleben: Wir ergeben uns allzu bereitwillig in diese passive Fixierung auf das Negative – weil es anstrengend ist, als vermeintlich Einziger dagegen anzureden. Also mache ich hier mal den Anfang.

Ja, es gibt gerade viel Elend und Leid zu beklagen, das steht außer Frage. Und es ist sehr wichtig, dass wir oft, ausführlich und auch schonungslos über diese Themen sprechen. Problematisch ist die Tendenz, die aus dem opportunen Grundpessimismus inzwischen entstanden ist: Die Krisenmüdigkeit sorgt dafür, dass immer mehr Menschen aus Überforderung in die Gleichgültigkeit abrutschen. Wie oft haben Sie in der letzten Zeit so etwas gehört wie: „Hat doch sowieso alles keinen Sinn mehr!“ – „Ist doch eh alles zu spät mit dem Klima!“ – „Die machen ja doch nur alle, was sie wollen!“ – „Was kann ich denn schon ändern?“ – „Auf mich hört ohnehin keiner!“

Ich bin viel unterwegs und komme mit Menschen aus sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Branchen ins Gespräch. Allein in der letzten Woche war ich auf der Expo in Hannover bei Eventprofis, bei einer Bäckerinnung, bei Krankenhaus-Managern und im politischen Berlin unterwegs. Überall herrscht dieselbe schlechte Stimmung. Bei einem meiner Termine hatte ich meinen Sohn dabei. Beim gemeinsamen Frühstück sagt einer der Teilnehmer zu mir: „Besonders tragisch ist das alles natürlich für diese Generation. Die leben ja in einer richtig beschissenen Zeit.“ Dabei zeigt er auf meinen Sohn. Der das hört.

Das Erlebnis wirkte auf mich wie ein Sinnbild für die derzeitige Stimmungslage: Wir sind krisenmüde. Wir sind von der Sorglosigkeit entwöhnt, die wir zuvor genießen durften und die wir alle vermissen. Und weil dieser Zustand schon eine Weile anhält und die Negativspirale unsere Wahrnehmung immer weiter in dieselbe Ecke drängt, haben viele das Gefühl, wir stünden bereits am Abgrund und ruderten hilflos mit den Armen, während wir in Zeitlupe, aber unaufhaltsam über die Kante kippen. Diese Einseitigkeit macht uns nicht nur müde und zornig, sie macht uns auch anfällig für Populismus.

Weltuntergangsstimmung ist das Ergebnis, wenn man unter dem Eindruck lebt, das Weltgeschehen werde ausschließlich von Katastrophen bestimmt, und die Zukunft sei unwiederbringlich in Düsterkeit vorgestanzt. Auch wenn die Nachrichtenlage – vor allem in bestimmten Filterblasen – diesen Eindruck erzeugen mag: Er ist objektiv falsch. Komplexe Themen, einseitig reduziert: Das ist immer ein Rezept für Fehldeutungen.

Es gibt viele Stimmen, die einen anderen Ton anschlagen, wenn man nur danach sucht. Auch unter den Journalisten. Das allein ist eigentlich schon ein Signal, das nicht alles schlecht sein kann, denn Journalisten – oder die, die sich diese Berufsbezeichnung noch verdient haben – berufen sich nun einmal auf Fakten. Eine solche Stimme aus dem renommierten Journalismus, an der ich mich gerade besonders erfreue, ist die von Horst von Buttlar, Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Capital und mehrerer News-Kanäle. In seinem Buch Das grüne Jahrzehnt zeigt er auf, wie die Klimakrise die Wirtschaft revolutioniert, und zwar (Achtung!) im positiven Sinne des Wortes.

Keine Frage: Wir hinken hinterher bei den Klimazielen, wie ich an anderer Stelle in diesem Newsletter ja auch warnend betone. Aber es passiert auch unglaublich viel Hoffnungsvolles. Große Konzerne und kleine Startups finden täglich neue Wege, den CO2-Ausstoß zu reduzieren – nicht nur ihren eigenen, sondern den ganzer Industrien. Das Rennen um die besten Ideen beim klimaneutralen Umbau der deutschen Wirtschaft bis 2050 ist weder verloren noch aufgegeben, sondern im vollen Gange. Wissenschaftler, Manager, Studierende und Aktivisten übertrumpfen sich gegenseitig mit ihren Innovationen, um schon in diesem Jahrzehnt die nötigen Weichen noch rechtzeitig zu stellen, damit die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad begrenzt werden kann. Da gibt es Technologien, CO2 aus der Luft zu waschen. Da sind Unternehmen, die Straßenlaternen zu Ladestationen umfunktionieren. Kürzliche Innovationen ermöglichen es, Batterien auf nachhaltige Weise zu recyclen. Es passiert so vieles, das uns Mut machen und endlich mal wieder kulturoptimistisch stimmen könnte, wenn wir es nur wahrhaben wollten.

Horst von Buttlar beschreibt den inneren Kampf, den er selbst beim Schreiben des Buches erlebt hat, eindrücklich. Oft habe ihn dabei „die Hoffnung verlassen, dass die Menschheit es schaffen wird“. Doch dann sei er wieder „Menschen mit so viel Energie und fantastischen Ideen begegnet“, dass er erneut daran zu glauben vermochte: „All diese Probleme sind lösbar. Wir haben es in der Hand, wir sind nicht machtlos.“

Auf einige Gespräche freue ich mich besonders: Auf den Dialog mit Maren Urner deshalb, weil sie dem Negativismus konkrete Strategien entgegenzusetzen hat – Ideen, wie wir uns „gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren“, wie es im Untertitel ihres Buches heißt. Noch prägnanter fasst es der Haupttitel: Schluss mit dem täglichen Weltuntergang.

Die Autorin ist Neurowissenschaftlerin und Vorreiterin des sogenannten Konstruktiven Journalismus in Deutschland. Dieser Begriff umschreibt das Prinzip der lösungsorientierten Berichterstattung: Nachrichten und Hintergründe, die nicht hoffnungslos machen, aber auch nicht beschönigen; die zum kritischen Denken anregen, immer aber auch Lösungen aufzeigen. Das von ihr mitgegründete Perspective Daily war 2016 das erste werbefreie Online-Magazin in dieser Disziplin – eine weitere Quelle guter Nachrichten, auf die es sich einzulassen lohnt.

Neben mutmachenden Büchern von Experten gibt es auch unter den Eigengewächsen der Generation Internet Stimmen der begründet optimistischen Vernunft. Eine davon ist Jan Hegenberg a.k.a. „Der Graslutscher“, der als Twitter-Faktencheckerschon seit Jahren Internet-Mythen und Verschwörungstheorien einem Realitätsabgleich unterzieht – amüsant spitzzüngig, vor allem aber extrem gut informiert und recherchiert. Sein Buch Weltuntergang fällt ausavancierte zum Spiegel-Bestseller – mal wieder ein Beweis, dass Faktenbezug sich sehr wohl verkauft, wenn er unterhaltsam verpackt ist. Über Herausforderungen redet es sich nun mal besser, wenn man der komplexen Realität noch nicht entsagt hat. Wenn es im Zukunftsdialog konkret und lösungsorientiert hergeht, kann man sogar Freude und Enthusiasmus dabei entwickeln.

Das dürfen wir nicht nur, das müssen wir, wenn wir konstruktiv nach vorn schauen wollen. Und deshalb besteht die größte Tragik von allen derzeit vielleicht gar nicht in der Nachrichtenlage – sondern darin, dass wir den Blick auf all diese Lichtblicke und Hoffnungsschimmer zu verlieren drohen.  Die guten Nachrichten sind nicht rar; wir reden nur nicht genügend darüber. „Ein Tag im Jahr 2040 kann richtig geil werden“, schreibt Der Graslutscher. Muss nicht so kommen, schon klar. Aber es kann …

Gute Kommunikation setzt die Bereitschaft zur Dialektik voraus, den Prozess des Abwägens, das Ringen um die Balance. Fangen wir doch bitte wieder an, über den Krisenrand hinauszuschauen. Auch gute Nachrichten muss man hören wollen.

 

 

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